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Distressed M&A – unterschätzter Schachzug in Zeiten der Corona-Krise?

Lieferungen bleiben aus, Kunden stellen Zahlungen ein, Finanzierungsverhandlungen mit Banken prägen den unternehmerischen Alltag: deutsche Unternehmen stehen derzeit unter enormem wirtschaftlichen Druck. Nach einer aktuellen Umfrage glaubt jedes fünfte deutschen Unternehmen, von Insolvenz bedroht zu sein. 

In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff „distressed M&A“, welchem auf Gesellschafter- und Investorenebene gleichermaßen oft mit Respekt und Vorurteilen begegnet wird. Trotz durchaus gegebener Risiken kann eine zum richtigen Zeitpunkt angesteuerte Krisen-Akquisition oder aber eine Krisen-Devestition jedoch für alle Beteiligten eine klassische „win-win Situation“ herbeiführen!

Timing is Money: auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Was bei M&A ohnehin allgegenwärtig ist, gewinnt in Transaktionen in der Krise noch mehr an Bedeutung: Zeit. Distressed M&A findet häufig unter erhöhtem Zeitdruck statt. Während der Veräußerer den Unternehmenswertschwund so gering wie möglich zu halten versucht, spielt der Investor oft auf Zeit, um unter möglichst attraktiven Konditionen zuzuschlagen und zugleich weiteren Erwerbsinteressenten zuvorzukommen. Daher ist das richtige Timing entscheidend für den Erfolg einer Akquisition oder Devestition in der Krise.

So sollten gerade auf der Akquisitionsseite die etwaigen Vorteile des Unternehmenserwerbs vor einer möglichen Insolvenzeröffnung des Targets im Auge behalten werden, wie etwa die exklusiven Verhandlungen mit den Gesellschaftern (anstatt mit einem Insolvenzverwalter) oder aber auch die schlichte Marktwahrnehmung. Auf der Devestitionsseite geht es unter anderem immer um den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Optimierung der wirtschaftlichen Parameter des Unternehmens – löst man sich von Beteiligungen oder Betriebsteilen zum Wohle des übrigen Ganzen?

Hinzunahme von Investoren oder Devestition von Unternehmensteilen als Mittel zur Liquiditätsbeschaffung in Zeiten von Corona

Aus (Alt-)Gesellschaftersicht sprechen in der Regel viele Gründe dafür, in einer möglichst frühen Phase der Krise die Möglichkeiten zur Aufnahme neuer Gesellschafter zu sondieren, um mit frischem Kapital den Liquiditätsbedarf der Gesellschaft zu stillen. Im Rahmen ihrer jeweiligen Liquiditätsplanung sollten Unternehmen – gerade in der aktuellen Krise – folgende Ideen im Blick behalten:

Je nach Interessenlage, können verschiedene Ausgestaltungen zu langfristigem Erfolg und besseren Synergien führen. Die Beteiligung eines Neugesellschafters kann etwa im Wege einer Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Anteile (§§ 55 ff. GmbHG) oder durch Veräußerung bestehender Anteile gegen einen geringen (symbolischen) Kaufpreis und die gleichzeitige Verpflichtung des Investors, Zuzahlungen in die Kapitalrücklage der Gesellschaft zu tätigen (§ 272 Absatz 2 Nummer 4 HGB), erfolgen. Zudem können befristete Rückerwerbs- oder Call-Optionen vereinbart werden, um mehr Flexibilität für beide Parteien, insbesondere in der „Anpassungsphase“ zu ermöglichen. Auch wenn die (Alt-)Gesellschafter damit einen Teil ihrer Gewinn- und Kontrollrechte aufgeben, so ist dies möglicherweise ein fairer Preis für die Abwendung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und somit der Insolvenz der Gesellschaft. Der Erhalt der Reputation und des Kundenstamms des Unternehmens sowie die Steigerung der Kreditwürdigkeit für weitere Bankfinanzierungen lassen die Altgesellschafter trotz Verwässerung im Ergebnis besser dastehen als im Falle der – sonst oft unvermeidbaren – Alternative der Verwertung.

Strategische Chancen für den cleveren Investor

Die Krise kann für den strategischen Investor sowie für den gesunden Wettbewerber ebenfalls attraktive Möglichkeiten eröffnen, wie zum Beispiel den erstmaligen Markteinstieg in ein bestimmtes Segment oder aber ein preislich attraktives anorganisches Wachstum im eigenen Marktumfeld. Die Chancen und Risiken variieren hier in Abhängigkeit davon, ob der Erwerb vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der Zielgesellschaft stattfindet.

Entscheidender Vorteil des Erwerbs vor der Eröffnung ist sicherlich die exklusive Verhandlungsmöglichkeit mit dem Altgesellschafter, die nach Insolvenzeröffnung in der Regel verloren geht. Bei dem Erwerb vor einer möglichen Insolvenz sollten jedoch die Konsequenzen gut überdacht werden: so sind beispielsweise zwingend Regelungen zu Gunsten des Investors im Hinblick auf die Verbindlichkeiten des früheren Inhabers (§ 25 HGB) zu treffen oder aber auch betreffend die Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 75 AO).

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bietet sich in der Regel für den Investor an, die Vermögenswerte des insolventen Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals „herauszupicken“. Die risikobehafteten Passiva, die regelmäßig eine umfangreiche Due Diligence erfordern, verbleiben im insolventen Unternehmen. Zudem entfällt hier das etwaige insolvenzrechtliche Anfechtungsrisiko wegen möglicher Gläubigerbenachteiligung in Bezug auf den rechtsgeschäftlichen Erwerb. Zugleich sinkt jedoch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Chance auf ein „Schnäppchen“: denn der Insolvenzverwalter wird in der Regel mit einer Vielzahl von Erwerbsinteressenten verhandeln, um die bestmöglichen Konditionen im Interesse der Gläubiger, aber auch der Mitarbeiter des Unternehmens im Hinblick auf beabsichtigte arbeitsrechtliche Restrukturierungskonzepte, zu erzielen.

Praxishinweis

Die Transaktion in der Krise stellt eine Sondersituation dar, die eines individualisierten Ansatzes bedarf und die pauschale Anwendung von Standardlösungen kategorisch ausschließt. Die eingehende Prüfung der Chancen und Risiken, unter anderem auf gesellschafts-, insolvenz- und  arbeitsrechtlicher Ebene ist dabei unerlässlich im distressed M&A, auch im Hinblick auf die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt des Erwerbs oder des Verkaufs. Dazu gehören zum einen eine maßgeschneiderte Due Diligence mit Fokus auf die spezifischen Risiken und zum anderen die Entwicklung kreativer und rechtssicherer Erwerbskonzepte und Schutzmechanismen, um die besonderen Interessen der Parteien hinreichend zu berücksichtigen und die naturgemäß erhöhten wirtschaftlichen Risiken möglichst gering zu halten.

Zusammen mit unseren Kollegen aus dem Corporate Finance & Advisory Services Team analysieren wir gemeinsam mit Ihnen den Markt und nutzen unser kombiniertes Know-how zur nachhaltigen Schaffung von Mehrwert. Sprechen Sie uns an.

 

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