Der Börsenkurs eines Unternehmens ist ein zentraler Referenzwert für Investoren, Analysten und Entscheidungsträger. Er spiegelt die Markterwartung hinsichtlich der zukünftigen Ertragskraft eines Unternehmens wider – jedoch nicht zwangsläufig dessen tatsächlichen wirtschaftlichen Wert. Doch wann ist er tatsächlich ein verlässlicher Indikator für den „wahren“ wirtschaftlichen Wert eines Unternehmens? Der neue Entwurf des IDW Standards ES 17 liefert hierzu eine fundierte und praxisnahe Antwort – und stellt klare Anforderungen an die Beurteilung börsenkursbasierter Kompensationen.
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Beurteilungskriterien für den Börsenkurs

Im Zentrum des IDW ES 17 steht die Frage, ob der beobachtbare Börsenkurs im konkreten Einzelfall eine angemessene Grundlage für Abfindungen oder Ausgleichszahlungen darstellt – etwa bei Squeeze-Outs, Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) erkennt den Börsenkurs grundsätzlich als Bewertungsmaßstab an, verlangt jedoch eine Prüfung, ob dieser den „vollen wirtschaftlichen Wert“ – also den sogenannten „wahren“ Wert – widerspiegelt.

Anteilseignerstruktur, Liquidität & Marktabdeckung im Überblick

IDW ES 17 fordert daher eine differenzierte Analyse durch den Wirtschaftsprüfer. Bewertet werden u. a.:

  • Anteilseignerstruktur: Besteht eine atomistische Struktur oder dominieren einzelne Großaktionäre?
  • Liquidität: Ist der Handel mit der Aktie ausreichend tief und breit?
  • Marktabdeckung: Gibt es eine fundierte externe Beobachtung des Unternehmens, beispielsweise durch Analysten?
  • Umfang der Berichterstattung: Sind relevante Informationen öffentlich und gleichmäßig verteilt?
  • Stichtagsprinzip: Spiegelt der Kurs die Verhältnisse zum Bewertungsstichtag wider
  • Kursbeeinflussung: Gibt es Anhaltspunkte für eine Manipulation der Kursentwicklung?

Diese Kriterien werden in einem Ampelsystem (grün, gelb, rot) bewertet. Liegt eine rote oder gelbe Ausprägung vor, darf der Börsenkurs nicht als alleiniger Maßstab herangezogen werden. In diesem Fall ist der objektivierte Unternehmenswert nach IDW S 1 zu ermitteln.

Börsenkurs vs. „wahrer“ Unternehmenswert – die Kernkriterien

Der Standard betont die Eigenverantwortung des Wirtschaftsprüfers im Rahmen seiner Bewertung. Eine mechanische Anwendung des Börsenkurses ist unzulässig. Vielmehr ist eine fundierte Gesamtbeurteilung erforderlich, die auch externe Marktfaktoren wie Sentiment oder Informationsverzerrungen berücksichtigt.

Besonders hervorzuheben ist die Trennung zwischen dem Börsenkurs als potenziellem Maßstab für den „wahren“ Wert und seiner Funktion als Untergrenze für eine Abfindung. Letztere ist rechtlich unabhängig von der Informationsverarbeitungseffizienz des Marktes – entscheidend ist allein, ob ein Verkauf zu diesem Kurs möglich gewesen wäre.

Nächste Schritte und Kommentierung

Der IDW ES 17 ist eine noch nicht abschließend abgestimmte Auffassung des Berufsstands. Er kann im Rahmen der Eigenverantwortlichkeit und des beruflichen Ermessens durch Berufsangehörige berücksichtigt werden, soweit er geltenden IDW Standards nicht entgegensteht. Die Anwendung wird vom Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft beim IDW empfohlen. 

Der Berufsstand und die interessierte Öffentlichkeit haben noch bis zum 31. August 2025 Gelegenheit zu Kommentierungen, bevor der Entwurf finalisiert wird.

Fazit: Börsenkurs kann ein valider Maßstab sein – aber nur, wenn der Markt funktioniert.

IDW ES 17 liefert ein strukturiertes, theoretisch fundiertes und praxisnahes Rahmenwerk für die Beurteilung des Börsenkurses. Für Wirtschaftsprüfer bedeutet der IDW ES 17: mehr Verantwortung, mehr Transparenz – und mehr Qualität in der Bewertung. 

Unser Partner Prof. Dr. Martin Jonas hat als Mitglied des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW die Fassung des IDW ES 17 maßgeblich mitgestaltet.

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