BFH-Beschluss vom 30. April 2025, XI R 15/23

E-Mail-Vorlagepflicht in der Betriebsprüfung – BFH schafft Klarheit

Martin Kröner
Von:
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Mit Beschluss vom 30. April 2025 (Az. XI R 15/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) konkretisiert, in welchem Umfang E-Mails im Rahmen des Datenzugriffs der Finanzverwaltung vorlagepflichtig sind. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die steuerliche Betriebsprüfung und die praktische Handhabung digitaler Unterlagen in Unternehmen.
INHALTE

Überblick der Mitwirkungspflichten im Rahmen der Betriebsprüfung

Im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung haben Steuerpflichtige nach Aufforderung der Finanzbehörde

  • Auskünfte zu erteilen,
  • Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen,
  • die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben,
    und der Finanzbehörde einen elektronischen Datenzugriff zu gewähren (§ 200 AO, § 147 Abs. 6 AO).

Verfahrensrechtlich ist das an den Steuerpflichtigen gerichtete Vorlageverlangen als gesonderter Verwaltungsakt zu werten. Es muss hinreichend bestimmt sein, d. h. für den Steuerpflichtigen klar erkennbar, welche Unterlagen vorzulegen sind. Zudem muss ein Vorlageverlangen stets auf einer gesetzlichen Grundlage basieren.

Zugrundeliegender Sachverhalt des BFH-Beschlusses XI R 15/23

Im entschiedenen Fall klagte eine Kapitalgesellschaft (GmbH) gegen die aus ihrer Sicht unrechtmäßige Aufforderung zur Vorlage von Handels- und Geschäftspapieren sowie weiterer Unterlagen – darunter ein sogenanntes „Gesamtjournal“ – im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2012 bis 2014.

Die Klägerin war Teil einer international tätigen Unternehmensgruppe und erbrachte auf Basis eines Agreements entgeltliche Servicedienstleistungen für eine andere Gruppengesellschaft. Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde sie gemäß § 200 Abs. 1 AO aufgefordert, insbesondere die E-Mail-Korrespondenz zwischen den Gruppengesellschaften vorzulegen, da sich aus dem Agreement selbst und der Verrechnungspreisdokumentation keine ausreichenden Informationen ableiten ließen.

Das Vorlageverlangen umfasste:

  • die Vorlage empfangener und abgesendeter Handels- und Geschäftsbriefe (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO),
  • sonstige steuerlich relevante Unterlagen (§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO),
  • Bereitstellung elektronischer Unterlagen (z. B. E-Mails) auf einem maschinell auswertbaren Datenträger gemäß § 147 Abs. 6 AO,
  • und die Erstellung eines elektronischen Gesamtjournals, das die Korrespondenz strukturiert mit Angaben zu Absender, Empfänger, Datum, Betreff, Anhängen und Erstqualifikation darstellt.

Die Klägerin legte Einspruch ein und argumentierte, das Vorlageverlangen sei zu unbestimmt und entbehre einer rechtlichen Grundlage – insbesondere hinsichtlich des geforderten Gesamtjournals.

BFH-Entscheidung zur E-Mail-Vorlagepflicht

Der BFH schloss sich im Wesentlichen der Vorinstanz an und stellte zentrale Grundsätze klar:

Vorlagepflicht für E-Mails:

  • Als aufbewahrungs- und vorlagepflichtige Handels- und Geschäftsbriefe im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO gelten grundsätzlich auch elektronische Unterlagen wie E-Mails. Voraussetzung ist, dass diese die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts betreffen.
  • Die Finanzbehörde darf grundsätzlich die Vorlage sämtlicher E-Mails verlangen, die sich auf das Agreement, dessen Durchführung oder die Verrechnungspreisdokumentation beziehen – soweit die E-Mail selbst rechnungslegungsrelevante Informationen enthält. Enthält nur der Anhang steuerlich relevante Inhalte, ist ausschließlich dieser aufzubewahren.
  • Eine pauschale („en bloc“) Anforderung von Unterlagen ist zulässig und im Regelfall hinreichend bestimmt. Der BFH begründet dies mit der häufigen Unkenntnis der Verwaltung über die konkrete Dokumentenlage.
  • Der Steuerpflichtige hat das sogenannte Erstqualifikationsrecht. Er kann E-Mails aussortieren, die keinen steuerlichen Bezug haben. Seine Datenbestände sind so zu organisieren, dass die Finanzverwaltung berechtigt Einsicht nehmen kann, ohne vertrauliche oder interne Bereiche zu berühren.

Grenzen der Vorlagepflicht:

  • Die Aufforderung zur Erstellung eines Gesamtjournals, das E-Mail-Korrespondenz zusammenfasst und mit zusätzlichen Informationen anreichert, ist mangels Rechtsgrundlage unzulässig.
  • Ein unbegrenzter Zugriff auf sämtliche E-Mails fällt unter den Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO, der sich jedoch nur auf aufbewahrungspflichtige Unterlagen erstreckt.
  • Enthält die Anforderung auch nicht aufbewahrungspflichtige Daten, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig.
  • Eine Verpflichtung zur Erstellung neuer Unterlagen (wie eines Gesamtjournals) lässt sich weder aus § 147 Abs. 1 AO noch aus § 200 Abs. 1 Satz 2 AO ableiten. Diese Vorschrift erfasst lediglich bereits vorhandene Unterlagen.

Take-aways: BFH schafft Rechtssicherheit für E-Mail-Vorlagepflicht

Der Beschluss des BFH bringt für die Praxis der Betriebsprüfung wertvolle Klarheit.
Einerseits wird höchstrichterlich bestätigt, dass E-Mails mit steuerlichem Bezug zu den aufbewahrungspflichtigen Handels- und Geschäftsbriefen gehören und somit dem Datenzugriff der Finanzverwaltung unterliegen.

Ein steuerlicher Bezug liegt vor, wenn Informationen zur Vorbereitung, zum Abschluss, zur Durchführung oder zur Änderung bzw. Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts betroffen sind. Steuerpflichtige verfügen hierbei über ein Erstqualifikationsrecht und müssen nicht sämtliche E-Mails vorlegen.

Unternehmen sollten frühzeitig interne Prozesse und IT-Systeme schaffen, die eine effektive Trennung und Identifikation vorlagepflichtiger E-Mails ermöglichen.

Fordert die Finanzbehörde die Vorlage nicht aufbewahrungspflichtiger Korrespondenz, stehen den Steuerpflichtigen weiterhin Rechtsmittel wie Einspruch und Klage sowie die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung offen.

Liegt Ihnen ein vergleichbares Vorlageverfahren vor oder möchten Sie sich auf entsprechende Prüfungsanfragen vorbereiten?
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Aktuelle Beratungshinweise – kurz notiert

Anerkennung der ertragsteuerlichen Organschaft bei Verlängerung eines Gewinnabführungsvertrags
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg entschied mit Urteilen vom 8. Juli 2025 (Az. 8 K 8092/24, 8 K 8150/23), dass die für eine ertragsteuerliche Organschaft erforderliche Voraussetzung, eines mit einer 5-jährigen Mindestvertragslaufzeit abgeschlossenen und durchgeführten Gewinnabführungsvertrages auch dann erfüllt ist, wenn während der erforderlichen Laufzeit die Mindestlaufzeit nach hinten verschoben wird (ursprünglich war 2019-2023 abgeschlossen, später auf 2020-2024 verschoben worden). Revision anhängig (BFH-Az. I R 18/25, I R 19/25).

Abgrenzung von Erhaltungsaufwand und Herstellungskosten bei Zweitherstellung von Grund und Boden
Das Finanzgericht Münster (Urteil vom 3. Juni 2025, Az. 13 K 356/23 E) entschied, dass Sanierungsmaßnahmen an einem Schacht (Verfüllung und Verdichtungen des Grund und Bodens), der bereits einige Jahre zuvor bei Erwerb eines Grundstücks dessen Bebaubarkeit einschränkte, als Zweitherstellung im Sinne einer Neuherstellung bzw. Wiederherstellung qualifizieren und damit als nachträgliche Herstellungskosten des Grund und Bodens zu aktivieren sind. Revision beim BFH anhängig (Az. IX R 13/25).