
EuGH klärt Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern – Haftungsprivileg gilt bei DSGVO-Verstößen nicht
Ausgangspunkt war ein Fall aus Rumänien: Auf einem Online-Marktplatz des österreichischen Russmedia-Konzerns wurde eine Anzeige veröffentlicht, die eine Person – ohne deren Wissen – fälschlich als Anbieterin sexueller Dienstleistungen darstellte. Die Anzeige enthielt sowohl Fotos als auch die Telefonnummer der betroffenen Person. Der Nutzer, der die Anzeige eingestellt hatte, blieb anonym. Die betroffene Person verklagte Russmedia auf 7.000 Euro immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO.
In der ersten Instanz wurde die Klage abgewiesen, da Russmedia sich als Host Provider auf das Haftungsprivileg nach Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie (heute Art. 6 Digital Services Act – DSA) berufen könne. Danach müssen Betreiber erst nach einer Hinweis- oder Beschwerdemeldung tätig werden („notice & take down“). Das Berufungsgericht legte dem EuGH die Frage vor, wie sich diese Haftungsprivilegien zu den Pflichten aus der DSGVO verhalten.
Der EuGH entschied nun klar: Der Digital Services Act lässt die DSGVO unberührt. Host Provider können sich bei Datenschutzverstößen nicht auf die Haftungsprivilegierung berufen.
Weiter stellte der EuGH fest:
- Betreiber von Online-Marktplätzen können (Mit-)Verantwortliche im Sinne der Art. 4 Nr. 7 und 26 DSGVO sein. Entscheidend war u. a., dass Russmedia sich über seine AGB zahlreiche Rechte an den Inhalten vorbehielt (Nutzung, Veröffentlichung, Änderung, Löschung). Dies genügt für eine datenschutzrechtliche Mitverantwortung.
- Plattformbetreiber müssen mittels technischer und organisatorischer Maßnahmen
(i) Anzeigen identifizieren, die sensible Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO enthalten,
(ii) prüfen, ob der einstellende Nutzer dieselbe Person ist, deren Daten in der Anzeige enthalten sind,
(iii) und – falls nicht – die Veröffentlichung verweigern, sofern keine Einwilligung oder andere Rechtsgrundlage besteht. - Betreiber müssen sicherstellen, dass rechtswidrig veröffentlichte Anzeigen nicht kopiert und auf anderen Websites verbreitet werden.
Damit erweitert der EuGH deutlich die Pflichten für Betreiber von Marktplätzen und Online-Plattformen.
Trotz besonderer Umstände der Entscheidung: Signalwirkung für Marktplatz-Betreiber
Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Fall besondere Umstände aufwies:
Es ging um besonders sensible Daten („Informationen über das Sexualleben“) im Sinne von Art. 9 DSGVO, was naturgemäß höhere Schutzmaßnahmen erfordert. Zudem spielte eine zentrale Rolle, dass Russmedia sich über seine AGB umfassende Rechte an den Anzeigeninhalten einräumte.
Dennoch sind die Leitsätze des Urteils breit und allgemein formuliert. Betreiber sollten daher prüfen, wie ihr Geschäftsmodell im Hinblick auf folgende Aspekte ausgestaltet ist:
- mögliche datenschutzrechtliche Mitverantwortung,
- Prüf- und Filterpflichten für sensible Inhalte,
- Ausgestaltung der AGB hinsichtlich Rechte an Nutzerinhalten,
- technische und organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung rechtswidriger Veröffentlichungen.
Für viele Plattformen besteht jetzt akuter Handlungsbedarf.
EuGH nimmt Marktplatz-Betreiber weiter in die Pflicht – Implikationen für das BGH-Verfahren Künast ./. META
Das Urteil reiht sich ein in eine wachsende Anzahl europäischer und deutscher Entscheidungen, die die Pflichten und Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern zunehmend erweitern – sei es im Urheberrecht, im Persönlichkeitsrecht oder nun im Datenschutzrecht.
Besondere Spannung gilt nun dem beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren „Künast gegen META“ (Az.: VI ZR 64/24). Der BGH hatte das Verfahren ausgesetzt, um die EuGH-Entscheidung abzuwarten. Da beide Fälle eine mögliche (Mit-)Verantwortung einer Plattform für personenbezogene Daten betreffen, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH auch die Bewertung im Künast-Verfahren maßgeblich beeinflusst.
Gut möglich ist, dass der BGH die Betreiberin von Facebook (META) nun aufgrund von DSGVO-Verstößen verurteilt, abwertende Memes über Frau Künast und gleichartige Verletzungen aufzuspüren und zu löschen.
Dieser Beitrag wurde von unseren Experten Jens von der Thüsen und Kieran Unbehaun erstellt.