BFH-Urteil

BFH bestätigt: Europarechtswidrig verweigerte Erstattungen von Kapitalertragsteuer sind zu verzinsen

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Ausländische Anteilseigner mit Gewinnausschüttungen aus deutschen Kapitalgesellschaften haben regelmäßig Anspruch auf eine Reduzierung oder Erstattung der darauf entfallenden Kapitalertragsteuer – entweder auf Grundlage anwendbarer Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder der Mutter-Tochter-Richtlinie der EU. Die Entlastung erfolgt aus-schließlich auf Antrag und ist in vielen Fällen zusätzlich an die Voraussetzungen des § 50d EStG geknüpft. Trotz langer Verfahrensdauern – nicht selten über zwei Jahre – sieht das Gesetz keine Verzinsung der Erstattungsbeträge vor. In seinem Urteil vom 25.02.2025 (VIII R 32/21) befasste sich der BFH nun mit der Frage, ob ein Anspruch auf Verzinsung dennoch besteht, wenn das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Erstattung unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung von 2007 (§ 50d Abs. 3 EStG 2007) unionsrechtswidrig verweigert hat.
INHALTE

Die BFH-Entscheidung

Die Klägerin, eine österreichische Kapitalgesellschaft, beantragte beim BZSt zunächst eine Freistellung vom Abzug der Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen ihrer deutschen Tochtergesellschaft auf Grundlage der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG). Das BZSt lehnte die Freistellung unter Hinweis auf die Regelung in § 50d Abs. 3 EStG 2007 ab. Im anschließenden Einspruchsverfahren erteilte das BZSt zunächst die Freistellung, hob sie dann aber unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 erneut auf. 
In der Folge beantragte die Klägerin die Erstattung der zwischenzeitlich einbehaltenen Kapitalertragsteuer. Auch diese lehnte das BZSt unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 ab. Erst nach den EuGH-Urteilen Deister Holding und Juhler Holding (C-504/16, C-613/16), die die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 als unionsrechtswidrig einstuften, erfolgte die Erstattung – allerdings ohne Verzinsung.

Der BFH gab der Klägerin recht und bejahte den Anspruch auf Verzinsung:

  • Auch wenn das nationale Recht keine Verzinsung vorsehe, ergebe sich nach Unionsrecht ein entsprechender Anspruch, wenn dem Steuerpflichtigen die Erstattung aufgrund unionsrechtswidriger Verwaltungspraxis vorenthalten worden sei.
  • Ein Verstoß gegen das Unionsrecht und damit einhergehend ein Anspruch auf Verzinsung ergab sich in der Entscheidung daraus, dass die Erstattung unter Verweis auf die unionsrechtswidrige Regelung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 verweigert wurde, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung im Einzelfall vorlagen.
  • Eine Untätigkeitsklage ist dabei nicht Voraussetzung für die Zinsgewährung – auch eine Abhilfe im Einspruchsverfahren genügt.
  • Nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags ist der Finanzverwaltung ein angemessener Bearbeitungszeitraum bis zur Auszahlung des Erstattungsbetrags zuzugestehen.
  • Für den Beginn des Zinslaufs differenzierte der BFH daher wie folgt:
    1. reine Erstattungsanträge: drei Monate nach vollständiger, formal ordnungsgemäßer Antragstellung,
    2. unionsrechtswidrig widerrufene Freistellungsbescheinigungen: ab dem Tag des Steuerabzugs.
  • Der Zinsanspruch ist taggenau zu ermitteln und war – nach damaliger Rechtslage – mit 0,5 % pro Monat zu verzinsen (ab dem 01.01.2019: 0,15 % pro Monat).

Praxisauswirkungen

Das Urteil hat weitreichende Folgen für Zahlungsempfänger, deren Anträge auf Erstattung von Kapitalertragsteuern in der Vergangenheit wegen § 50d Abs. 3 EStG 2007 abgelehnt wurden. In diesen „Altfällen“ können sich ggf. noch erhebliche Zinsansprüche ergeben. 

Die Auswirkung des Urteils auf die aktuelle Rechtslage ist fraglich. § 50d Abs. 3 EStG wurde zwischenzeitlich neu gefasst. Die aktuelle Fassung enthält keine generelle Missbrauchsvermutung mehr und ist – jedenfalls nach Auffassung des Gesetzgebers und auch vielen Stimmen in der Fachliteratur – unionsrechtskonform. Sollten die Gerichte die Unionsrechtskonformität der aktuellen Regelung künftig bestätigen, wäre fraglich, ob sich aus dem BFH-Urteil nicht zumindest ein Anspruch auf Verzinsung aufgrund der sehr langen Verfahrensdauern ergeben kann. In seinem Urteil hatte der BFH dem BZSt einen angemessenen Bearbeitungszeitraum für die Freistellungs-/Erstattungsverfahren zugebilligt. Dieser wurde grds. auf drei Monate festgesetzt – wohlgemerkt nach Eingang eines vollständigen Antrags. Wenn dem BZSt in dem Antrag aber bereits alle Informationen vorliegen, die belegen, dass keine konkreten Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung im Einzelfall vorliegen, wäre zu prüfen, ob sich nach Ablauf der angemessenen Bearbeitungsdauer mitunter ein Verzinsungsanspruch ergeben könnte.

Handlungsempfehlung

Ausländische Empfänger von Kapitalerträgen, denen die Erstattung auf Grundlage des § 50d Abs. 3 EStG 2007 verweigert oder erheblich verzögert wurde, sollten potenzielle Verzinsungsansprüche prüfen. Das gilt ausdrücklich auch für bereits abgeschlossene Einspruchsverfahren, selbst wenn diese ohne gerichtliches Urteil beendet wurden.

Bei Antragsverfahren nach aktueller Rechtslage empfiehlt es sich, die Unterlagen sorgfältig und vollständig einzureichen. Insbesondere sollten – soweit einschlägig – der Fragebogen zu § 50d EStG sowie im Fall der USA zusätzlich der Fragebogen zu Art. 28 DBA-USA vollständig ausgefüllt und sämtliche relevanten Nachweise beigefügt werden. Das kann nicht nur die Bearbeitungszeit erheblich verkürzen, sondern – angesichts der weiterhin teils erheblichen Verzögerungen – gegebenenfalls auch Grundlage für Verzinsungsansprüche sein.

Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben oder Unterstützung bei der Antragstellung benötigen.