
Der EuGH hat am 11. Dezember 2025 ein wegweisendes Urteil zur sozialversicherungsrechtlichen Einordnung grenzüberschreitender Tätigkeiten gefällt. In der Rechtssache C-743/23 entschied das Gericht, dass bei der Berechnung des Tätigkeitsanteils alle tatsächlich geleisteten Arbeitstage zu berücksichtigen sind – einschließlich Tätigkeiten in Drittstaaten.
Für Unternehmen, HR-Abteilungen und Global-Mobility-Verantwortliche hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung, ob ein „wesentlicher Teil“ der Tätigkeit im Wohnstaat ausgeübt wird – und damit auf die Anwendung von A1-Bescheinigungen.
Hintergrund des EuGH-Urteils
Das Urteil betrifft unmittelbar die Anwendung des EU-Sozialversicherungsrechts auf Personen, die regelmäßig in mehreren Staaten tätig sind. Im Fokus steht die Frage, wie der „wesentliche Teil“ der Tätigkeit für A1-Bescheinigungen bei regelmäßig grenzüberschreitenden Tätigkeiten zu bestimmen ist, wenn ein Teil der Arbeit nicht in EU-/EWR-Staaten oder der Schweiz, sondern in Drittstaaten ausgeübt wird.
Bislang wurden Arbeitstage in Drittstaaten bei der Ermittlung der Gesamtarbeitszeit häufig außer Betracht gelassen. Dies führte dazu, dass Beschäftigte vielfach dem Sozialversicherungsrecht ihres Wohnstaats zugeordnet wurden. Der EuGH stellt nun klar, dass diese Praxis unionsrechtswidrig ist. Für Unternehmen bedeutet dies eine grundlegende Anpassung der bisherigen Bewertungssystematik.
Zentrale Kernpunkte des EuGH-Urteils
Der EuGH macht deutlich, dass bei sogenannten Multi-State-Workern alle tatsächlich geleisteten Arbeitstage in die Berechnung des Tätigkeitsanteils einzubeziehen sind – unabhängig davon, ob die Tätigkeit in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ausgeübt wurde.
Damit verändert sich die Grundlage für die maßgebliche 25-%-Schwelle, anhand derer beurteilt wird, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnstaat ausgeübt wird. Tätigkeiten in Drittstaaten dürfen nicht ausgeklammert werden. Die bisherige Verwaltungs- und Beratungspraxis vieler Arbeitgeber muss daher überprüft und angepasst werden.
Beispiel zur Veranschaulichung
20 Arbeitstage pro Monat
- Wohnstaat: 4 Tage
- EU-Ausland: 8 Tage
- Drittstaat: 8 Tage
Bisherige Betrachtung:
4 von 12 Tagen = 33 % → wesentlicher Teil im Wohnstaat → Sozialversicherung im Wohnsitzstaat
Neue Betrachtung nach EuGH:
4 von 20 Tagen = 20 % → kein wesentlicher Teil → Sozialversicherung im Staat des Arbeitgebers
Konsequenzen für Unternehmen und HR-Abteilungen
Das Urteil führt zu erheblichen Anpassungsbedarfen in der Praxis. Unternehmen müssen künftig sämtliche Arbeitstage berücksichtigen – einschließlich Homeoffice-Tagen, Dienstreisen sowie Tätigkeiten in Drittstaaten. Voraussetzung dafür sind vollständige, präzise und konsistent geführte Reisekalender.
Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die sozialversicherungsrechtliche Zuordnung haben: Fälle, die bislang als „wesentlicher Teil im Wohnstaat“ eingestuft wurden, könnten künftig unter die 25-%-Grenze fallen. HR-, Payroll- und Global-Mobility-Teams sollten ihre Bewertungslogik daher überprüfen, um Fehlzuordnungen und Compliance-Risiken zu vermeiden.
Handlungsempfehlungen & Next Steps
Unternehmen und betroffene Mitarbeiter sollten zeitnah prüfen, ob Reisekalender vollständig sind und alle Arbeitstage korrekt erfasst wurden. Da das Urteil unmittelbare Wirkung entfaltet, ist für zukünftige Tätigkeiten zu klären, welches Sozialversicherungsrecht jeweils Anwendung findet.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Analyse Ihrer Fälle und der Einordnung der sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen.
Fazit
Das EuGH-Urteil verändert die Grundlagen der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung grenzüberschreitender Tätigkeiten nachhaltig. Unternehmen sind gefordert, ihre Prozesse und Bewertungsansätze anzupassen, um eine korrekte Zuordnung sicherzustellen und Risiken zu minimieren.
Wir begleiten Sie bei der Analyse bestehender Konstellationen sowie bei der Implementierung effizienter und rechtssicherer Bewertungs- und Dokumentationsprozesse.