
Bewertung latenter Steuern in Jahresabschlüssen ab 2025 nach Jahresscheiben erforderlich
Der Ansatz latenter Steuern erfolgt nach § 274 HGB bzw. IAS 12 grundsätzlich für temporäre Buchwertdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz bzw. für die erwartete künftige Nutzung von steuerlichen Zins- und Verlustvorträgen. Die Bilanzierung latenter Steuern nach HGB und IFRS basiert insoweit im Kern auf dem sogenannten bilanzorientierten Temporary-Concept, wonach grundsätzlich alle nicht dauerhaften Bilanzierungs- und Bewertungsdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz bei der Ermittlung latenter Steuern zu berücksichtigen sind. Damit wird eine periodengerechte Erfassung des Steueraufwands angestrebt, indem künftig erwartete Steuerbelastungen und -entlastungen aus aktuell entstandenen Buchwertdifferenzen und steuerlichen Vortragswerten ausgewiesen und der Periode ihrer wirtschaftlichen Verursachung zugeordnet werden.
Die Bewertung latenter Steuern erfolgt dabei sowohl nach HGB als auch nach IFRS jeweils mit dem Steuersatz, der zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Realisierung bzw. Auflösung der temporären Differenz erwartet wird und am Bilanzstichtag als beschlossen gilt. In Deutschland gilt die vorliegend behandelte Senkung des Körperschaftsteuersatzes mit Zustimmung des Bundesrats vom 11. Juli 2025 als beschlossen („substantively enacted“). Die Steuersatzsenkung ist damit zeitlich in allen Jahresabschlüssen mit Bilanzstichtag ab dem 11. Juli 2025 bei der Bewertung der latenten Steuern zu berücksichtigen – bei Quartalsabschlüssen erstmals zum Stichtag 30. September 2025. Sachlich betroffen sind alle Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen, also neben Kapitalgesellschaften und anderen Körperschaften auch solche Personenunternehmen, die zur Körperschaftsteuer optiert haben.
Bis die stufenweise Körperschaftsteuersatzsenkung abgeschlossen ist, sind die temporären Differenzen sowie die erwartete Nutzung von steuerlichen Verlust- und Zinsvorträgen nach Jahresscheiben auf ihre erwartete Realisierung hin zu analysieren. Jede (Teil-)Realisierung ist dann mit dem jeweils für das Jahr der Realisierung erwarteten Steuersatz zu bewerten. Wird beispielsweise eine temporäre Differenz im Sachanlagevermögen zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2025 im Wege von steuerlichen Mehr- oder Minderabschreibungen über mehrere Jahre bis 2032 umgekehrt, sind für die anteilige Umkehr der temporären Differenzen in den Jahren 2027 bis 2032 bei der Bewertung der latenten Steuer jeweils unterschiedliche Körperschaftsteuersätze anzuwenden – und zwar bereits in der Bewertung im Jahresabschluss zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2025.
Das stellt Abschlussersteller insbesondere dann vor Herausforderungen, wenn zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2025 eine Differenz zwischen Handels- und Steuerbilanz zwar besteht, diese sich an den folgenden Bilanzstichtagen erwartbar zunächst jedoch weiter erhöht (sogenannte Aufbauphase), bevor sie sich dann sukzessive umkehrt (sogenannte Abbauphase). Dieser Fall ist unter anderem bei der Nutzung der ebenfalls mit dem Wachstumsboostergesetz erneut eingeführten steuerlichen degressiven Abschreibung auf Investitionsgüter denkbar.
Weitere Unsicherheiten und damit einhergehende Ermessensspielräume zur Umkehr temporärer Differenzen können sich beispielsweise bei langfristigen Ansammlungsrückstellungen ergeben. In allen diesen Fällen entstehen erhöhte Dokumentationsanforderungen für Abschlussersteller.
Ausweis der Körperschaftsteuersatzsenkung und Anhangangaben
Im Rahmen der Abschlusserstellung nach HGB sind Einzelunternehmen und nicht haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften grundsätzlich nicht von § 274 HGB betroffen. Kleine Kapitalgesellschaften sind nach § 274a Nr. 4 HGB von der Abgrenzung latenter Steuern nach § 274 HGB befreit. Während nach IAS 12 grundsätzlich eine Ansatzpflicht für latente Steuern mit nur wenigen, eng umgrenzten Ausnahmen besteht (zum Beispiel erstmaliger Ansatz von Geschäfts- oder Firmenwerten), ist nach § 274 HGB eine sich im Rahmen der Gesamtdifferenzbetrachtung ergebende passive latente Steuer zwingend abzubilden, wohingegen hinsichtlich einer insgesamt entstehenden Steuerentlastung ein Wahlrecht besteht.
Veränderungen der latenten Steuern aufgrund der Körperschaftsteuersatzsenkung – also aus bereits bestehenden Buchwertdifferenzen oder Verlust- und Zinsvorträgen aus dem Vorjahr – sind nach HGB erfolgswirksam zu erfassen. Nach IFRS ist die Veränderung in den latenten Steuern grundsätzlich analog der ursprünglichen Transaktion im Periodenergebnis („profit or loss“), im sonstigen Ergebnis („OCI“) oder im Eigenkapital auszuweisen, das heißt nicht in allen Fällen erfolgswirksam.
Neben der Darstellung in Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung sind gegebenenfalls auch Anhangangaben erforderlich. So können nach § 285 Nr. 29 HGB bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 21 HGB insbesondere Angaben dazu erforderlich sein, auf welchen Differenzen oder steuerlichen Verlustvorträgen die latenten Steuern beruhen und mit welchen Steuersätzen die Bewertung erfolgt ist. Darüber hinaus können nach § 285 Nr. 31 HGB bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 23 HGB zusätzliche Angabepflichten zur Steuersatzänderung in Bezug auf Betrag und Art außergewöhnlicher Erträge und Aufwendungen entstehen.
Praxishinweise für die Jahresabschlusserstellung ab 2025
Veränderungen der latenten Steuern sind nach HGB erfolgswirksam und nach IFRS analog der zugrunde liegenden Transaktion im Periodenergebnis, im sonstigen Ergebnis oder im Eigenkapital auszuweisen. Regelmäßig resultiert hieraus eine Auswirkung auf die Steuerquote.
Die korrekte Zuordnung der Umkehr bzw. Realisierung der am Bilanzstichtag bestehenden temporären Differenzen sowie der Nutzung steuerlicher Verlust- und Zinsvorträge zu den jeweils einschlägigen Steuersätzen erfordert eine sorgfältige Prognose und Dokumentation durch die Abschlussersteller.
IT-Systeme sollten frühzeitig auf ihre Fähigkeit zur jahresscheibengenauen Berechnung überprüft und gegebenenfalls entsprechend optimiert werden. Die Systeme müssen in der Lage sein, bei IT-gestützter Berechnung latenter Steuern unterschiedliche Steuersätze für verschiedene Jahre für einen einheitlichen Sachverhalt abzubilden.
Neben der bilanziellen Umsetzung der Körperschaftsteuersatzsenkung sind gegebenenfalls ergänzende Anhangangaben nach HGB und IFRS erforderlich.
Falls Sie hierzu weitergehende Fragen haben oder Unterstützung benötigen, beraten wir Sie gerne.
Aktuelle Beratungshinweise – kurz notiert
Verstoß gegen den Grundsatz der Steuergerechtigkeit: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hebt Grundsteuerbescheide auf
Mit Urteilen vom 4. Dezember 2025 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass höhere Hebesätze zur Bestimmung der Grundsteuer für in der jeweiligen Gemeinde liegende Gewerbeimmobilien gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Steuergerechtigkeit verstoßen. Denn rein fiskalische Zwecke eignen sich nach Aussage des Gerichts nicht als Rechtfertigung für erhöhte Hebesätze zulasten der Gewerbeimmobilien. Darauf basierende Grundsteuerbescheide von den Städten Bochum, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen sind nach den Urteilen des Verwaltungsgerichts rechtswidrig und wurden aufgehoben.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Das Gericht hat sowohl die Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen als auch die Sprungrevision bei dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Sollte der in Ihrer Gemeinde geltende Grundsteuerhebesatz für Gewerbeimmobilien höher sein als der für Wohngrundstücke, empfehlen wir, unter Bezugnahme auf die einschlägigen Urteile der Verwaltungsgerichte, gegen die entsprechenden Grundsteuerbescheide im Rahmen eines Widerspruchs vorzugehen. Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung Ihrer Grundsteuerbescheide in diesem Zusammenhang.
BMF-Schreiben betreffend AfA von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer aufgehoben
Im BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 (Az. IV C 3 - S 2196/22/10006: 005, BStBl 2023 I, 332) wurde geregelt, dass der Nachweis einer kürzeren (im Vergleich zu den gesetzlich typisierten) tatsächlichen Nutzungsdauer für die AfA von Gebäuden im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, zu erbringen ist. Dies stellte hohe Anforderungen an die Erbringung des erforderlichen Nachweises. Mit BMF-Schreiben vom 1. Dezember 2025 (Az. IV C 3 - S 2196/00040/006/008) wird das BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder aufgehoben. Ein erforderlicher Nachweis sollte damit künftig auch in anderer Form erbracht werden können.
Dieser Beitrag wurde von unserem Experten Sebastian Braun und unserer Expertin Lisa Rittel verfasst.