
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat am 25. November 2025 ein Urteil gefällt, das die Geschäftsführerhaftung im Bauträgerbereich auf ein neues Niveau hebt (Aktenzeichen 3 U 171/24). Kern der Entscheidung ist die Feststellung, dass ein Geschäftsführer persönlich für Schäden haftet, wenn Baufortschrittsraten vorzeitig, also vor dem tatsächlichen Erreichen des jeweiligen Baufortschritts, entgegengenommen werden – und dies auf mangelhafte interne Organisation und fehlende Überwachung zurückzuführen ist.
Besonders praxisrelevant ist die Klarstellung des Gerichts, dass der maßgebliche Prüfungspunkt der Zahlungseingang selbst ist: Entscheidend ist, ob zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Baufortschritt tatsächlich vorlag. Damit wird der zeitliche Moment der Zahlung zum zentralen Haftungskriterium erhoben.
Das Urteil zeigt eindrucksvoll, dass Delegation ohne Kontrolle nicht ausreicht. Geschäftsführer müssen Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass Mitarbeitende rechtskonform handeln – andernfalls droht eine persönliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 MaBV.
Sachverhalt des Urteils
Dem Urteil lag der Streit zwischen Erwerbern und einer Bauträger-Projektgesellschaft zugrunde. Die Projektgesellschaft, die später in Liquidation geriet, hatte von den Käufern mehrere Baufortschrittsraten entgegengenommen, obwohl der entsprechende Fortschritt am Gemeinschaftseigentum faktisch noch nicht erreicht war.
Der damalige Geschäftsführer der Gesellschaft hatte die operativen Aufgaben rund um die Anforderung, Prüfung und Entgegennahme der Raten vollständig an Mitarbeitende delegiert. Diese wurden jedoch nicht hinreichend nach den Vorgaben der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) geschult, nicht kontrolliert und arbeiteten ohne nachvollziehbare interne Richtlinien.
Während Delegation grundsätzlich zulässig ist, kam das OLG zu dem Ergebnis, dass die vollständige Übertragung dieser kritischen Aufgaben ohne klare Anweisungen, ohne Kontrollmechanismen und ohne Überwachung ein erhebliches Organisationsverschulden darstellt. Die Folge: Das Unternehmen vereinnahmte die Raten zu früh, was einen Verstoß gegen die zwingenden Verbraucherschutzvorschriften der MaBV darstellt.
Die betroffene Vorschrift, § 3 Abs. 2 MaBV, dient dem Schutz der Erwerber und stellt sicher, dass Zahlungen nur im Gleichschritt mit dem tatsächlichen Baufortschritt erfolgen. Diese Norm wurde nach Auffassung des OLG mehrfach verletzt.
In der ersten Instanz hatte das Landgericht Hildesheim die Bauträgergesellschaft bereits zur Rückzahlung verurteilt (Urteil vom 27.11.2024 – 2 O 273/23). Doch das Berufungsurteil des OLG Celle weitet die Haftung nun auf den Geschäftsführer persönlich aus und bestätigt, dass dessen Verhalten eine schadensersatzbegründende Pflichtverletzung darstellt.
Rechtliche Würdigung
1. Persönliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 MaBV
Das OLG Celle stützt die persönliche Haftung des Geschäftsführers auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetzcharakter des § 3 Abs. 2 MaBV. Bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hatte klargestellt, dass die MaBV Schutzgesetzcharakter besitzt – sie dient unmittelbar dem Schutz der Erwerber vor ungesicherten Vermögensabflüssen.
Das Urteil führt aus, dass ein Geschäftsführer persönlich haftet, wenn er durch eigene Pflichtverletzung die Verletzung eines Schutzgesetzes ermöglicht – selbst wenn die rechtswidrigen Handlungen durch Mitarbeitende erfolgen. Ein solches Organisationsverschulden genügt vollkommen.
Das Gericht betont, dass es nicht ausreicht, Aufgaben zu delegieren: Es müssen stets klare Vorgaben gemacht und effektive Kontrollen durchgeführt werden. Unterlässt der Geschäftsführer dies, handelt er zumindest fahrlässig.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt: der Moment der Entgegennahme
Ein zentraler Aspekt des Urteils ist die Feststellung, dass der tatsächliche Baufortschritt zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Zahlung vorliegen muss.
Das OLG erläutert:
- Selbst wenn der Baufortschritt später erreicht wird, heilt das die frühere rechtswidrige Vereinnahmung nicht.
- Der Gesetzgeber will sicherstellen, dass der Erwerber zeitgleich mit dem Fortschritt zahlt – und nicht vorab.
Damit werden Bauträger und ihre Geschäftsführer verpflichtet, vor jeder Annahme einer Rate zu prüfen, ob der Bauzustand tatsächlich dokumentiert und prüfbar erreicht ist.
3. Organisationsverschulden als Haftungsgrund
Das Gericht stellt klar, dass ein Geschäftsführer seine Aufgaben so zu organisieren hat, dass Verstöße gegen die MaBV praktisch ausgeschlossen sind. Dies umfasst insbesondere:
- klare interne Anweisungen zur Ratenanforderung,
- Dokumentationspflichten und Freigabeprozesse,
- regelmäßige Schulungen der Mitarbeitenden in MaBV-rechtlichen Themen,
- ein funktionierendes Kontrollsystem (z. B. Vier-Augen-Prinzip).
Fehlen diese Strukturen, liegt ein Organisationsverschulden vor, das unmittelbar zur persönlichen Haftung führt.
Das Urteil betont, dass bereits fahrlässiges Verhalten ausreicht – ein Vorsatz ist nicht erforderlich.
4. Bedeutung für die Praxis
Für Bauträgergesellschaften ist dieses Urteil ein deutlicher Hinweis, dass die MaBV-konforme Gestaltung der Zahlungsprozesse nicht nur eine Formalität ist, sondern eine haftungsrechtliche Schlüsselrolle spielt.
Geschäftsführer sind verpflichtet:
- die korrekte Einhaltung der MaBV sicherzustellen,
- organisatorische Strukturen zu schaffen, die Verstöße verhindern,
- und die Umsetzung dieser Strukturen aktiv zu überwachen.
Eine rein „formale“ Delegation reicht nicht – wer Aufgaben überträgt, muss deren Ausführung auch kontrollieren.
Fazit
Das Urteil des OLG Celle setzt neue Maßstäbe für die Verantwortlichkeit von Geschäftsführern im Bauträgerbereich. Die Entscheidung macht deutlich:
- Die MaBV ist strikt anzuwenden: Verstöße hiergegen können zu erheblichen zivilrechtlichen Haftungsfolgen führen.
- Delegation entbindet nicht von Verantwortung: Der Geschäftsführer bleibt Organträger und trägt die Pflicht, Rechtsverstöße durch ein funktionierendes Organisationssystem zu verhindern.
- Der Zeitpunkt der Zahlung ist entscheidend: Liegt der Baufortschritt noch nicht vor, handelt es sich um eine rechtswidrige Vereinnahmung – mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen.
Für die Praxis bedeutet das: Geschäftsführer müssen Compliance-Strukturen etablieren, Mitarbeitende schulen und ein internes Kontrollsystem implementieren, das eine vorzeitige Ratenannahme ausschließt.
Das Urteil stärkt damit nicht nur die Rechte der Erwerber, sondern schafft auch klare Standards für die interne Organisation von Bauträgergesellschaften. Die persönliche Haftung des Geschäftsführers ist kein Ausnahmefall mehr, sondern eine realistische Folge organisatorischer Versäumnisse.
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