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Beratungspraxis Unternehmenssteuern

Die Nutzung und der Erhalt von steuerlichen Verlustvorträgen stellt für Unternehmen in Umwandlungsfällen nicht selten eine Herausforderung dar. So gilt es eine Vielzahl von einzelsteuergesetzlichen Vorschriften, die die Verlustverrechnung ausschließen oder eingrenzen, zu beachten. Zu nennen ist hierbei unter anderem die Vorschrift zum Verlustuntergang des § 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG), insofern im Wege der Umwandlung mehr als 50% der Anteile der Verlustgesellschaft auf einen neuen Anteilseigner übergehen. Darüber hinaus enthält das Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) individuelle Restriktionen für die Nutzung von Verlusten im Rahmen und im Nachgang einer Umwandlung. Sind Personengesellschaften an einer Umwandlung beteiligt, sind Unternehmer- und Unternehmensidentität entscheidende Faktoren für den Erhalt bzw. Nutzung der Verluste. Wird mit der Umwandlung einzig das Ziel verfolgt, steuerliche Verluste zu nutzen, um die Besteuerung von Gewinnen zu vermeiden, ist zudem nicht auszuschließen, dass die Finanzverwaltung eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO) annimmt, um die Nutzung der Verluste auf diese Weise zu verwehren.

BFH Urteil vom 17.11.2020 – I R 2/18

Mit der Frage des Gestaltungsmissbrauchs anlässlich der Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft hatte sich jüngst der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) auseinanderzusetzen.

Im Urteilsfall verfügte die Klägerin (A-GmbH) über erhebliche Verluste, die aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit resultierten. Sie befand sich Ende 2008 in Liquiditätsschwierigkeiten. Es drohte die Insolvenz. Übliche Quellen wie Finanzspritzen der Gesellschafter oder Kredite durch Banken kamen zur Liquiditätsverstärkung nicht in Betracht. Die nicht zum Konzern der A-GmbH zugehörige C bot der A-GmbH zum Zwecke der Finanzierung an, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der C, die D-GmbH, zu erwerben. Die D-GmbH hatte ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1.7.2008 bis 30.6.2009. Die Anteilsveräußerung wurde am 23.2.2009 vollzogen. Bereits mit Verschmelzungsvertrag vom nächsten Tag erfolgte eine rückwirkende Verschmelzung der D-GmbH auf die A-GmbH auf den 1.7.2008. Die D-GmbH erzielte im Jahr 2008 und Januar 2009 Gewinne aus Finanzgeschäften, die am 17.02.2009 (also vor Anteilsübertragung) in Form einer Vorabausschüttung an die C ausgekehrt wurden. Die D-GmbH war fortan wirtschaftlich inaktiv. Die ertragsteuerlich rückwirkende Verschmelzung führte dazu, dass der A-GmbH das Einkommen und das Vermögen der D-GmbH zum steuerlichen Übertragungsstichtag (1.7.2008) zugerechnet wurde. Das auf den Rückwirkungszeitraum entfallende (positive) Einkommen der D-GmbH wurde mit den Verlustvorträgen der A-GmbH verrechnet.

Im Zuge der Außenprüfung bei der A-GmbH kam das Finanzamt zu der Rechtsauffassung, dass die D-GmbH ihr im Rückwirkungszeitraum erzieltes Einkommen selbst als Steuersubjekt zu versteuern habe, weil der Verschmelzung nach der allgemeinen Gestaltungsmissbrauchsnorm des § 42 AO die steuerliche Anerkennung zu versagen sei. Die Vorinstanz (Finanzgericht (FG) Hessen, 29.11.2017 – 4 K127/15)) folgte dem nicht, weil die Anwendung des § 42 AO ausgeschlossen sei, wenn spezialgesetzliche Normen zur Missbrauchsabwehr (hier: § 12 Absatz 3 UmwStG sowie § 8c KStG) bestehen, auch wenn sie im Einzelfall nicht greifen. Auch der BFH sah im vorliegenden Fall keinen Gestaltungsmissbrauch, obgleich er von der Begründung des Finanzgerichts deutlich abwich.

Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsverhinderungsregelungen zu § 42 AO

Im Unterschied zu früheren Fassungen enthält § 42 Absatz 1 Satz 2 AO seit 2008 eine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsvorschriften gegenüber der allgemeinen Missbrauchsklausel der AO. Der Wortlaut lässt nach Ansicht des BFH keinen Zweifel daran, dass solche einzelsteuergesetzlichen Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur dann verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig sind. Sind sie tatbestandlich nicht einschlägig („anderenfalls“), dann wird die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO nicht verdrängt. Nach Ansicht des BFH stellen die vom Finanzgericht zitierten Vorschriften (§ 12 Absatz 3 UmwStG sowie § 8c KStG) keine einzelsteuergesetzlichen Umgehungsvorschriften dar, so dass diese - entgegen der Auffassung des Finanzgerichts - keine Abschirmwirkung gegenüber der allgemeinen Missbrauchsklausel des § 42 AO entfalten.

Diese Aussagen zum Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsverhinderungsregelungen zur allgemeinen Regelung zur Verhinderung von Umgehungen der Steuergesetze durch Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO ist von allgemeiner Bedeutung und muss auch bei anderen Gesetzesvorschriften beachtet werden. Insofern bleibt abzuwarten, ob dies eine neue Entwicklung der Rechtsprechung darstellt. Bislang ging die Fachliteratur davon aus, dass eine Einzelnorm den Maßstab für das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs im konkreten Gesetzeszusammenhang vorgibt und dies nicht durch die allgemeine Vorschrift des § 42 AO ergänzt werden könne.

Nutzung von Verlusten kein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO

Gleichwohl kommt der BFH im Ergebnis zu der positiven Entscheidung, dass die im Streitfall vollzogene Gestaltung keine missbräuchliche Gestaltung darstelle. Der Steuerpflichtige dürfe seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz frei vorgegeben sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung sei erst dann unangemessen, wenn sie überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck habe. Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, müssen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden, da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen übereinstimmt.

Im Streitfall diente die Gestaltung im Kern der Nutzung des Verlustvortrags, der sich bei der A-GmbH infolge des ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolgs aufgebaut hatte. Ob zur Verlustnutzung getroffene Gestaltungen einer Prüfung am Maßstab des § 42 AO standhielten, hinge zunächst von der Qualität der betroffenen Verluste ab. So seien die bei einer auf Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit selbst erwirtschafteten Verluste anders zu behandeln als auf dem Markt „eingekaufte“ Fremdverluste (Mantelkaufgestaltungen). Verluste, die auf der Inanspruchnahme steuerlicher Subventions- und Lenkungsnormgen (zum Beispiel Sonderabschreibungen) beruhen, hätten wiederum eine andere Qualität. Die A-GmbH habe indes „echte“ betriebswirtschaftliche Verluste erzielt, deren steuerliche Geltendmachung nicht zu beanstanden seien.

Erwerb der inaktiven Gewinngesellschaft steht der Verlustverrechnung nicht entgegen

Auch der Umstand, dass die für die Verlustnutzung erforderlichen positiven Einkünfte entgeltlich von einem Dritten erworben wurden, mache die Gestaltung nach Ansicht des BFH nicht unangemessen. Gleiches gilt für die Tatsache, dass es sich bei der D-GmbH um eine wirtschaftlich inaktive Gewinngesellschaft gehandelt hat, deren Gewinne zu einem Großteil bereits an den bisherigen Anteilseigner ausgeschüttet worden waren. Zum einen sei die steuerlich zulässige Verlustnutzung ohne Vorhandensein positiver Einkünfte nicht darstellbar, zum anderen handele es sich bei dem entgeltlichen Erwerb einer potenziellen Quelle positiver Einkünfte – im Unterschied zum Erwerb eines Verlustmantels – um einen vom Steuergesetz grundsätzlich akzeptierten Vorgang der Einkünfteerzielung.

Auswirkungen des BFH-Urteils vom 17.11.2020 auf die Praxis

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des BFH zur Rechtslage des Jahres 2008 ergangen ist. Für Umwandlungen und Einbringungen nach dem 6.6.2013 hat der Gesetzgeber mit dem § 2 Absatz 4 Satz 3 UmwStG eine einzelsteuergesetzliche Regelung geschaffen, die den Ausgleich oder die Verrechnung von positiven Einkünften des übertragenen Rechtsträgers im Rückwirkungszeitraum mit verrechenbaren Verlusten des übernehmenden Rechtsträgers versagt. Von dem Verlustverrechnungsverbot ausgenommen sind jedoch weiterhin konzerninterne Verschmelzungen. Die im Streitfall vorgenommene Gestaltung würde folglich unter der Rechtslage seit Mitte 2013 nicht das gewünschte Ergebnis der Verlustverrechnung im Rückwirkungszeitraum erzielen. Nichtdestotrotz stellt das Urteil eine begrüßenswerte Bestätigung der ständigen Rechtsprechung zur Frage eines Gestaltungsmissbrauchs im Kontext der Verlustnutzung dar. So dürfte unter Hinweis auf die jüngste Entscheidung eine Versagung der Verlustnutzung im Rückwirkungszeitraum aus Gründen des Gestaltungsmissbrauchs bei konzerninternen Umwandlungen auszuschließen sein. Ebenso sollte weitere Rechtssicherheit gegeben sein für die Verrechnung von Verlusten mit positiven Einkünften der übertragenden Gesellschaft, die nach der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Verschmelzung (Eintragungen in den Handelsregistern von übertragender und aufnehmender Gesellschaft) erwirtschaftet werden.

Es bleibt indes abzuwarten, wie die Finanzverwaltung die Rechtsgrundsätze des I. Senats zum Verhältnis von speziellen zur allgemeinen Missbrauchsvorschrift über den Streitfall hinaus für sich auslegen wird. So muss das Urteil als Risiko verstanden werden, wo eine einzelsteuergesetzliche Missbrauchsverhinderungsvorschrift vorliegt aber klar nicht erfüllt ist und damit der Anwendungsbereich der allgemeinen Missbrauchsvorschrift eröffnet ist. Letztendlich wird es immer auf den Einzelfall ankommen.

Die Experten von Warth & Klein Grant Thornton beraten Sie gerne zu Fragen und Gestaltungsmöglichkeiten zur Nutzung und Erhalt von Verlusten auch im Rahmen von Umwandlungen und Einbringungen.

 

Aktuelle Beratungshinweise - kurz notiert

  • Besteuerung des Einbringungsgewinns II (BFH vom 11.2020, I R 25/18): Der Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine OHG, bei dem die Anteile zu Buch- bzw. zu Zwischenwerten angesetzt werden, ist als Veräußerung anzusehen und löst innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist nach einem Anteilstausch einen zu versteuernden Einbringungsgewinn II (= rückwirkende Besteuerung der stillen Reserven im Einbringungszeitpunkt) aus.
  • Zur Anwendung des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG bei mehraktigem unterjährigem Erwerb (FG Hessen vom 15. März 2021 - 6 K 1163/17): Das Hessische FG hat entschieden, dass die Beteiligungsschwelle von 10% (= Voraussetzung für die Steuerfreistellung von erhaltenen Dividenden) nach § 8b Absatz 4 Satz 6 KStG auch durch mehrere unterjährige Erwerbsvorgänge erreicht werden kann. Dies ist der Fall, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Kalenderjahres eine Beteiligungshöhe von mindestens 10% erreicht wird. (Revision beim BFH anhängig I R 16/21).
  • Keine verfassungsrechtlichen Zweifel am Abzinsungssatz für Verbindlichkeiten (FG Münster vom 5.5.2021 - 13 V 505/21): Das FG Münster hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass zumindest für 2013 keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Abzinsungssatz von 5,5% für Verbindlichkeiten (§ 6 Absatz 1 Nummer 3 Satz 1 EStG) bestehen. (Beschwerde zum BFH zugelassen XI B 44/21).

 

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