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Seit 2022 ist die sog. „Ewigkeitsstundung“ für Wegzüge aus Deutschland auch für innereuropäische Wohnsitzänderungen ersatzlos weggefallen. Unternehmer und natürliche Personen mit Anteilen an Kapitalgesellschaften von mehr als einem Prozent müssen die Wegzugsteuer nun sofort zahlen. Die ratierliche Verteilung auf sieben Jahren hilft da nur wenig bei der Liquiditätsplanung, denn üblicherweise wird eine Sicherheitsleistung in voller Höhe seitens der Finanzverwaltung verlangt. Ein polnisches Gericht stellt nun drei Fragen an den EuGH, die hinsichtlich der unionsrechtlichen Bedenken auch für deutsche Wegzügler relevant sein könnten.
Warum das neue EuGH-Verfahren zur Wegzugsteuer relevant ist
Das polnische Verwaltungsgericht (Wojewódzki Sąd Administracyjny) hat dem EuGH drei Fragen zur Vereinbarkeit der polnischen Wegzugsbesteuerung mit den EU-Grundfreiheiten und dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht zur Vorabentscheidung vorgelegt (C-430/25, Gena, Datum der Vorlageentscheidung 29. Mai 2025).
Das Verfahren betrifft einen italienisch-amerikanischen Staatsbürger. Er ist am 1.1.2023 in Polen erstmals steueransässig geworden, um eine Arbeitnehmertätigkeit aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt hielt er u.a. sehr werthaltige Aktien verschiedener Gesellschaften, aber auch einige verlusthaltige Kapitalanlagen. Im Hinblick auf seinen für 2028 geplanten Wegzug nach Deutschland stellte die Person der zuständigen Behörde mehrere Fragen zur steuerlichen Behandlung des Wegzugs im Rahmen eines sog. „Steuervorbescheides“ (in Deutschland wohl am ehesten mit einer verbindlichen Auskunft i.S.d § 89 AO vergleichbar). Die Person legte ihre eigene Rechtsauffassung zu diesen Fragen ebenfalls dar. Durch Bescheid vom 31.12.2024 teilte die zuständige Behörde mit, dass die Rechtsauffassung in wesentlichen Teilen von seiner abweiche. Insbesondere wolle Polen auch die stillen Reserven besteuern, die bereits vor Zuzug entstanden seien und Verlustverrechnungen zwischen unterschiedlichen Anteilen ablehnen. Die Person erhob gegen den ablehnenden Steuervorbescheid Klage beim vorlegenden Gericht.
Wegzugsbesteuerung in Polen
Die polnische Wegzugsbesteuerung findet bei einem Wegzug natürlicher Personen Anwendung, die mindestens fünf der letzten zehn Jahre in Polen steueransässig waren. Die Besteuerung erfasst u.a. die stillen Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen. Stille Lasten werden im Rahmen der Wegzugsbesteuerung nicht steuermindernd berücksichtigt. Bei einem Zuzug kennt Polen keinen „step-up“ auf den Verkehrswert, es werden die historischen Anschaffungskosten berücksichtigt. Eine Privilegierung bei Wegzügen innerhalb der EU gibt es nicht und es wird nicht dauerhaft gestundet. Es besteht lediglich die Möglichkeit, eine Ratenzahlung über längstens fünf Jahre zu beantragen.
Das polnische Gericht hat Zweifel, ob diese nationalen Regelungen mit dem Unionsrecht, konkret dem Recht auf Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) und dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), vereinbar ist und hat die Rechtssache dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV zur Entscheidung vorgelegt.
Die Fragen sind im Wesentlichen übertragbar auf die Zweifel, die auch in Deutschland mit der aktuellen Wegzugsteuer aufkommen. Insoweit könnte die Entscheidung auch für deutsche Wegzügler nach 2022 richtungsweisend sein.
Hintergrund: Was regelt die Wegzugsteuer in Deutschland aktuell?
Die sog. Wegzugsteuer betrifft in aller Regel die Besteuerung des Vermögenszuwachses einer natürlichen Person, die ins Ausland verzieht und nach Maßgabe des § 6 AStG so behandelt wird, als wenn sie ihre im steuerlichen Privatvermögen gehaltenen Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Wegzugszeitpunkt veräußert hätte. Erfasst werden alle Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, die unmittelbar oder mittelbar ein Prozent am Kapital der Gesellschaft betragen, sowie bestimmte Anteile an Investmentfonds.
Zusammengefasst heißt das:
- Sachlich: Anteile an Kapitalgesellschaften, an denen innerhalb der letzten fünf Jahre eine Beteiligung von (un)mittelbar zu mindestens einem Prozent bestand oder bestimmte Investmentfondsanteile
- Persönlich: Unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland für sieben Jahre, innerhalb der letzten zwölf Jahre
- Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, oder
- unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person, oder
- sonstiger Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Veräußerungsgewinnes
- Ergebnis: Es kommt zu einer fingierten Veräußerung der gehaltenen Anteile (Dry Income)
- Maßgeblich für die Bewertung: Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs
Das polnische Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH
Das vorbenannte Vorabentscheidungsverfahren ist für Deutschland spannend, da die Regeln zur Wegzugsteuer in Polen und Deutschland ähnlich streng sind.
Konkret stellt das polnische Gericht die folgenden Fragen an den EuGH:
- Sind im Rahmen des Wegzugs einer natürlichen Person auch solche stillen Reserven in die Wegzugsbesteuerung einzubeziehen, die in einem Zeitraum entstanden sind, in dem die Person noch gar nicht zugezogen war?
- Sind im Rahmen der Wegzugsbesteuerung nur Wertsteigerungen in Anteilen zu erfassen und Wertverluste auszunehmen?
- Ist die Wegzugsteuer sofort bzw. im Rahmen einer Ratenzahlungsregelung zu erheben, anstatt die Zahlung der Steuer bis zur tatsächlichen Veräußerung der Vermögenswerte zu stunden?
Die Antworten auf die Fragen zwei und drei könnten für Deutschland richtungsweisend sein. Insbesondere die Beantwortung der dritten Frage ist aus deutscher Perspektive als mehr als weichenstellend einzuordnen. Zwischenzeitlich sind die ersten Wegzugsteuerfälle im Rahmen der Veranlagung für das Steuerjahr 2022 beschieden und die Finanzbehörden haben die neue Rechtslage angewandt. Das bedeutet in den konkreten Fällen, dass, sofern keine Sofortzahlung gewählt wurde, die ratierliche Verteilung der Wegzugsteuer mit entsprechender Sicherheitsleistung (in voller Höhe!) umgesetzt wurde. Die Bescheide bzw. die Zahlungsaufforderungen sind in diesen Fällen offenzuhalten und anzufechten. Das beschriebene Vorlageverfahren kann richtungsweisend sein.
Fazit: Wegweisende Entscheidung mit Signalwirkung für Europa
Die für in ein bis zwei Jahren zu erwartende Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren ist von höchster Bedeutung für die deutsche Wegzugsteuer und daher mit großer Spannung zu erwarten. In der Zwischenzeit befinden wir uns weiterhin in einer ungewissen Situation, die insbesondere eine konkrete Steuerplanung fast unmöglich macht. Lediglich bei Rückkehrabsicht nach Deutschland ist die Wegzugsteuer stundungsfähig und somit ein Liquiditätsabfluss verhinderbar.
Es bleibt bei der Empfehlung, dass Wegzugsüberlegungen frühestmöglich ausgesprochen werden sollten. Auch Nachfolgeüberlegungen und Gestaltungspotenziale sollten immer mit der Wegzugsteuer im Hinterkopf geführt werden. Die Wegzugsbesteuerung wird ein komplexer Teil des deutschen Steuerrechts bleiben.
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