Energiewirtschaftsrecht

Neue Regelungen zur Zukunft der Gasnetze – Erster Entwurf des BMWE einer nationalen Umsetzung des EU-Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpakets (Richtlinie (EU) 2024/1788)

Peter Schmidt
Von:
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Übersicht

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) hat Anfang November einen ersten Gesetzesentwurf zur Umsetzung des EU-Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpakets veröffentlicht. Gegenstand des Gesetzesvorhabens ist die Schaffung neuer Regelungen zur Zukunft der Gasnetze in Deutschland. Insbesondere ist die Einführung von Verteilernetzentwicklungsplänen vorgesehen, die die rechtliche Grundlage für die zukünftige Umnutzung, Umwidmung oder auch die dauerhafte Außerbetriebnahme von Gasnetzen oder Teilen davon in Anbetracht eines perspektivisch zu erwartenden Rückgangs der Erdgasnachfrage bilden. Der zuletzt genannte Aspekt, also die künftigen Regelungen zur Stilllegung und zum Rückbau von örtlichen Gasverteilernetzen, soll nachfolgend näher analysiert werden.

INHALTE

Warum ist der Gesetzentwurf für Netzbetreiber jetzt relevant?

Ende Oktober dieses Jahres hat der Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) die Ergebnisse einer Umfrage unter seinen Mitgliedern zur Zukunft der Gasnetze veröffentlicht (Link zur Pressemitteilung). Das Ergebnis: Für 46 Prozent der Stadtwerke und kommunalen Energieversorger steht noch nicht fest, wie die Zukunft ihrer Gasnetze aussehen soll. In Anbetracht der in der Branche offenkundig herrschenden Unsicherheit, forderte der VKU daher die Bundesregierung auf, Rechtssicherheit für die Stilllegung und Umrüstung der Gasnetze zu schaffen. Der nun veröffentlichte Gesetzesentwurf des BMWE ist ein erster Schritt in diese Richtung. Ausdrückliches Ziel des Gesetzesentwurfs ist insoweit gerade auch die Schaffung von Planungssicherheit, indem ein Rechtsrahmen für künftige Investitionen in Wasserstoffinfrastrukturen geschaffen und der bestehende Rechtsrahmen für Erdgasinfrastrukturen überarbeitet wird. So soll vor dem Hintergrund der europäischen Klimaschutzziele ein Beitrag zur notwendigen Weiterentwicklung und Transformation der Energieversorgungsnetze geleistet werden.

Hintergrund: Das europäische Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpaket

Hintergrund des Gesetzesentwurfs ist die Richtlinie (EU) 2024/1788 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 über gemeinsame Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbares Gas, Erdgas und Wasserstoff (kurz: EU-Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpaket). Ziel dieser Richtline ist es, Anreize für Marktteilnehmer zu schaffen, den Ausstieg aus fossilem Gas zu vollziehen und einen geordneten Übergang zur Klimaneutralität sicherzustellen. Es soll ein gemeinsamer Rahmen für die Dekarbonisierung der Märkte für Erdgas und Wasserstoff geschaffen werden, um so zur Erreichung der Klima- und Energieziele der EU beizutragen. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten unter anderem vor, sicherzustellen, dass Netzbetreiber Pläne für die Netzstilllegung erarbeiten, wenn eine Verringerung der Erdgasnachfrage zu erwarten ist. Liegt ein Stilllegungsplan vor, sollen die Netzbetreiber dann auch die Möglichkeit haben, künftig den Netzzugang und den Netzanschluss zu verweigern sowie bestehende Netzanschlüsse sogar zu trennen (wir berichteten bereits). Die europäischen Vorgaben der Richtlinie sind ab Inkrafttreten am 4. August 2024 binnen zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen.

Die Regelungen des Gesetzentwurfs zur Stilllegung und zum Rückbau von Gasnetzen im Überblick

Der Gesetzesentwurf des BMWE sieht in Bezug auf die Themen Stilllegung und Rückbau von Gasnetzen an zahlreichen Stellen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) Änderungen vor, die wir nachfolgend zusammenfassen: 

Pflicht zur Erstellung von Verteilernetzentwicklungsplänen

So ist in § 16b Abs. 2 EnWG-E nun die Pflicht für Betreiber von Gasverteilernetzen vorgesehen, einen Entwicklungsplan für das Gasverteilernetz oder von Teilen eines solchen Netzes zu erstellen, sobald eine dauerhafte Verringerung der Erdgasnachfrage innerhalb der nächsten zehn Jahre derart zu erwarten ist, dass die Verringerung die Umstellung oder dauerhafte Außerbetriebnahme des Gasverteilernetzes oder von Teilen des Netzes erforderlich macht. Diese Entwicklungspläne sind alle vier Jahre und unter bestimmten Voraussetzungen alle zwei Jahre zu aktualisieren (§ 16b Abs. 5 EnWG-E). Den Entschluss zur Erstellung eines Verteilernetzentwicklungsplans hat der betreffende Netzbetreiber unverzüglich auf der eigenen Internetseite zu veröffentlichen (§ 16c Abs. 1 EnWG-E). Der Öffentlichkeit, insbesondere tatsächlichen und potenziellen Netznutzern sowie betroffenen Netzbetreibern, Kommunen und Letztverbrauchern hat der Netzbetreiber die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; Entwürfe der Verteilernetzentwicklungspläne, einschließlich der Ergebnisse der Konsultation hierzu, sind online zu veröffentlichen (§ 16c Abs 4 EnWG-E). Die Verteilernetzentwicklungspläne sind der zuständigen Regulierungsbehörde zur Bestätigung vorzulegen (§ 16c Abs 5 EnWG-E).

Inhaltliche Anforderungen an die Verteilernetzentwicklungspläne

§ 16d EnWG-E enthält zahlreiche inhaltliche Vorgaben für die Verteilernetzentwicklungspläne. Beispielsweise müssen diese 

  • sich auf einen Zeitraum von mindestens zehn und höchstens 15 Jahren erstrecken,
  • die Vorgaben und Ziele anderer Pläne und Gesetze (u. a. kommunale Wärmepläne, den nationalen Energie- und Klimaplan und das Bundes-Klimaschutzgesetz) berücksichtigen,
  • sich auf angemessene Annahmen bezüglich der Entwicklung der Erdgaserzeugung und -einspeisung, der Erdgasnachfrage und -versorgung sowie auf den Verbrauch von Erdgas in allen Sektoren auf der Ebene der Verteilung im betreffenden Betrachtungszeitraum stützen,
  • die Infrastruktur aufführen, die weiterbetrieben, umgestellt oder dauerhaft außer Betrieb genommen werden soll, und die erforderlichen Infrastrukturanpassungen enthalten,
  • im Fall der Umstellung oder dauerhaften Außerbetriebnahme einer Gasleitung darlegen, inwiefern die verbleibende Gasleitungsinfrastruktur ausreicht, um die Versorgungssicherheit im Gasbereich zu gewährleisten und
  • angemessene Angaben enthalten, inwiefern für Letztverbraucher, die von einer beabsichtigten Umstellung oder einer dauerhaften Außerbetriebnahme einer Gasleitung betroffen sind, im Zeitpunkt der Umstellung oder dauerhaften Außerbetriebnahme im jeweiligen Netzgebiet hinreichende alternative Versorgungsmöglichkeiten existieren.

Möglichkeit der Verweigerung eines Netzanschlusses

Nach § 17 Abs. 2c Nr. 2 EnWG-E kann ein Gasnetzbetreiber zukünftig Netzanschlussbegehren verweigern, wenn er nachweist, dass die Verweigerung erforderlich ist, weil in einem von der zuständigen Regulierungsbehörde bestätigten Verteilernetzentwicklungsplan die Umstellung oder dauerhafte Außerbetriebnahme von Verteilernetzen oder Teilen davon vorgesehen ist. 

Möglichkeit der Anschlusstrennung im Gasbereich

Gasnetzbetreiber können neben der Verweigerung von Netzanschlussbegehren künftig sogar Netzanschlüsse ohne Zustimmung des betroffenen Letztverbrauchers oder des unmittelbar betroffenen Netznutzers trennen. Dies gilt nach § 17k Abs. 1 EnWG-E jedenfalls dann, wenn in einem von der zuständigen Regulierungsbehörde bestätigten Verteilernetzentwicklungsplan die Umstellung oder dauerhafte Außerbetriebnahme von für die Versorgung des Netzanschlusses erforderlichen Leitungen eines Gasverteilernetzes vorgesehen ist und der Gasnetzbetreiber

  • den betroffenen Netznutzer und den betroffenen Letztverbraucher unverzüglich, spätestens aber zehn Jahre vor dem geplanten Termin zur Trennung des Anschlusses, in Textform über die beabsichtigte Trennung aufgrund eines zur Bestätigung bei der zuständigen Regulierungsbehörde eingereichten Verteilernetzentwicklungsplans informiert hat,
  • den betroffenen Netznutzer und den betroffenen Letztverbraucher unverzüglich, spätestens aber fünf Jahre vor dem Termin zur Trennung des Anschlusses, in Textform über die beabsichtigte Trennung aufgrund des von der zuständigen Regulierungsbehörde bestätigten Verteilernetzentwicklungsplans informiert hat,
  • mit der Information nach den Nummern 1 und 2 informiert hat über

    1. die Gründe der beabsichtigten Trennung des Anschlusses, 
    2.  das Verfahren, den Zeitplan und den geplanten Termin für die Trennung,
    3. im Zeitpunkt der Anschlusstrennung im Netzgebiet grundsätzlich zur Verfügung stehende, alternative Versorgungsmöglichkeiten für den Netznutzer oder den Letztverbraucher und in diesem Zusammenhang auch über Möglichkeiten der Förderung, und
    4. Beratungsstellen, bei denen sich Letztverbraucher zu nachhaltigen alternativen Heizlösungen und in diesem Zusammenhang auch über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten bei der Umrüstung auf solche Heizungslösungen in-formieren können,

  • mit der Information nach den Nummern 1 und 2 auf die Veröffentlichung der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie auf die Veröffentlichung des bestätigten Verteilernetzentwicklungsplans auf der jeweiligen Internetseite des Netzbetreibers hingewiesen hat, und
  • jeweils zwei Jahre, sechs Monate, zwei Monate sowie zwei Wochen vor dem geplanten Termin zur Trennung des Anschlusses den betroffenen Netznutzer und den betroffenen Letztverbraucher an die bevorstehende Anschlusstrennung in Textform erinnert hat.

Der Anschluss darf jedoch dann nicht getrennt werden, soweit zwei Jahre vor dem Termin zur Trennung des Anschlusses absehbar ist, dass im Zeitpunkt der Anschlusstrennung die Wärmeversorgungsart, die für das Teilgebiet, in dem sich der Netzanschluss befindet, im aktuellen Wärmeplan als besonders geeignet eingestuft wird, aller Wahrscheinlichkeit nach für den Letztverbraucher nicht zur Verfügung stehen wird (§ § 17k Abs. 2 EnWG-E).

Möglichkeit der Verweigerung des Netzzugangs

Nach § 20 Abs. 2a Nr. 2 EnWG-E kann ein Gasnetzbetreiber zukünftig den Zugang zu seinem Netz verweigern, wenn er nachweist, dass die Verweigerung erforderlich ist, weil in einem von der zuständigen Regulierungsbehörde bestätigten Verteilernetzentwicklungsplan die Umstellung oder dauerhafte Außerbetriebnahme von Verteilernetzen oder Teilen davon vorgesehen ist. 

Duldungspflicht für dauerhaft außer Betrieb genommene Erdgasleitungen und Einrichtungen auf Grundstücken

Nach dem BMWE sollen – in Anbetracht der künftigen Möglichkeit zur Stilllegung von Gasnetzen oder Teilen davon – pauschale Rückbauverpflichtungen für dauerhaft außer Betrieb genommene Netzinfrastrukturen vermieden werden. Ein flächendeckender Rückbau von Gasnetzen wäre nach Auffassung des BMWE mit enormen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden und würde knappe Tiefbaukapazitäten binden, die an anderer Stelle dringender gebraucht werden. 

Vor diesem Hintergrund regelt § 48b Abs. 1 S. 1 EnWG-E, dass der Eigentümer sowie der sonstige Nutzungsberechtigte eines Grundstücks den Verbleib von Leitungen, die der Verteilung von Erdgas dienen, auf diesen Grundstücken im Falle einer für Zwecke der Verteilung von Erdgas erfolgten dauerhaften Außerbetriebnahme dieser Leitungen unentgeltlich dulden muss, wenn diese Außerbetriebnahme infolge der Umsetzung eines bestätigten Verteilernetzentwicklungsplanes erfolgt. Eine entgegenstehende vertragliche Regelung ist insoweit unwirksam (§ 48b Abs. 1 S. 2 EnWG-E). Die Duldungspflicht soll nach § 48b Abs. 1 S. 3 EnWG-E hingegen nicht gelten, 

  1. soweit anderweitige öffentliche Interessen oder private Eigentumsinteressen in Bezug auf das betroffene Grundstück überwiegen,
  2. wenn eine künftige Nutzung der Leitungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann und an der betroffenen Stelle ohnehin umfangreiche Erdarbeiten stattfinden, bei denen die Leitung unter einfachem Aufwand zu entfernen ist, oder
  3. wenn für den bisherigen Verbleib der Leitungen im Grundstück kein rechtlicher Grund bestand.

Nach § 48b Abs. 3 EnWG-E ist die Duldungspflicht auch für öffentliche Verkehrswege anzuwenden und ist damit auch für Kommunen, die ihre öffentlichen Verkehrswege im Rahmen von Konzessionsverträgen (§ 46 EnWG) zur Nutzung zur Verfügung gestellt haben, relevant.

Eine entsprechende Duldungspflicht gilt darüber hinaus auch für auf einem Grundstück befindliche Einrichtungen, die zum Zwecke des Anschlusses dieses Grundstücks an das gasversorgungsnetz errichtet worden sind, es sei denn, der Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte des Grundstücks trägt die Kosten eines Rückbaus selbst (§ 48b Abs. 5 EnWG-E).

Weitere Neuregelungen im Überblick

Neben den Themen Stilllegung und Rückbau von Gasnetzen sieht der Gesetzesentwurf eine Vielzahl weiterer Neuregelungen vor, die hier nur im Überblick skizziert werden: 

  • Regelungen zur integrierten Netzentwicklungsplanung für Gasfernleitungen und Wasserstofftransportnetze;
  • Zertifizierung von Wasserstofftransportnetzbetreibern;
  • Entflechtung im Wasserstoffbereich;
  • Regulierung des Netzzugangs und des Netzanschlusses, einschließlich des Zugangs zu Wasserstoffspeichern und Wasserstoffterminals;
  • Regulierung der Netzentgelte für Gas und Wasserstoff;
  • Kennzeichnung von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen im Rahmen von Versorgungsverträgen.

Fazit

Ob der vom BMWE vorgelegte Gesetzesentwurf die unter Gasnetzbetreibern bestehenden Unsicherheiten zur Zukunft ihrer Gasnetze ausräumen kann, bleibt abzuwarten. Im Ansatz werden die richtigen Weichen gestellt, wenn durch die Einführung des Instruments der Verteilernetzentwicklungspläne die Handlungsspielräume der Gasnetzbetreiber in Bezug auf die Verweigerung von Netzanschlüssen bzw. der Netznutzung und sogar der Anschlusstrennung erweitert werden. Insoweit waren die bisherigen Regelungen des EnWG darauf angelegt, den Gasnetzbetrieb als „Ewigkeitsaufgabe“ zu regeln; Stilllegungen oder Anschlussverweigerungen waren rechtlich nur sehr eingeschränkt möglich. Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sind diese Regelungen nicht mehr kompatibel. 

Doch auch mit dem jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf verbleiben Unsicherheiten. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie eine für die Erstellung der Verteilernetzentwicklungspläne maßgebliche, dauerhafte Verringerung der Erdgasnachfrage von den Gasnetzbetreibern genau darzulegen ist. Der Gesetzesentwurf verweist insoweit darauf, dass es im Verantwortungsbereich der Netzbetreiber liege, nachvollziehbare Einschätzungen zur Prognose der Erdgasnachfrage auf Basis der zur Verfügung stehenden, belastbaren Erkenntnisquellen zu treffen (Seite 236 des Gesetzesentwurfs). Solche Erkenntnisquellen sieht das BMWE etwa in kommunalen Wärmeplanungen, Transformationsplänen von Wärmenetzbetreibern nach der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW), Gasnetzgebietstransformationsplänen nach dem DVGW-Regelwerk oder sonstigen wissenschaftlichen Simulationen zur Entwicklung des Gasverbrauchs. Wird auf Basis von entsprechenden Erkenntnisquellen eine Prognoseentscheidung getroffen, müssen die Gasnetzbetreiber dann darauf aufbauend entscheiden, ob eine prognostizierte Verringerung der Erdgasnachfrage eine dauerhafte Außerbetriebnahme des Gasnetzes oder von Teilen des Netzes auch erforderlich macht. Auch insoweit macht das Gesetz den Gasnetzbetreibern jedoch keine konkreten Vorgaben. 

Derzeit findet die Länder- und Verbändebeteiligung zum Gesetzesentwurf statt. Wir werden über die künftigen Entwicklungen zum Gesetzesvorhaben berichten.

 

Quellen

Erster Gesetzesentwurf zur Umsetzung des EU-Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpakets