
Mit dem neuen § 75a GO NRW erhalten Kommunen ab 2026 deutlich mehr Freiheit – aber auch mehr Verantwortung – bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte. Der Beitrag zeigt, was sich ändert und wie Gemeinden ihre Vergabepraxis künftig rechtssicher gestalten können.
Hintergrund und Zielsetzung der Neueinführung des § 75a GO NRW
Bislang galten bei kommunalen Beschaffungsvorgängen, die unterhalb der EU-Schwellenwerte blieben und damit nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts der §§ 97 ff. GWB fielen, die Regelungen der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) und der erste Abschnitt der VOB/A. Die gesetzliche Grundlage hierfür bildet § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung. Der Nordrhein-Westfälische Landtag hat am 9. Juli 2025 ein Gesetz verabschiedet, das § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung mit Wirkung zum 1. Januar 2026 aufhebt. Anstelle dessen wird § 75a GO NRW neu eingeführt. Nach § 75a Abs. 1 GO NRW hat eine Gemeinde bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen – vorbehaltlich anderweitiger Rechtsvorschriften – jetzt fünf Grundprinzipien zu beachten, die alleinige gesetzliche Grundlage für die Vergabe im Unterschwellenbereich darstellen:
- Wirtschaftlichkeit
- Effizienz
- Sparsamkeit
- Gleichbehandlung
- Transparenz
Regelungen, die die Durchführung von Vergaben einschränken, darf die Gemeinde gemäß § 75a Abs. 2 GO NRW nur durch den Beschluss einer Satzung erlassen.
Mustersatzung der kommunalen Spitzenverbände
Am 5. September 2025 wurde eine Mustersatzung für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte in NRW vorgestellt. Erarbeitet wurde diese von den kommunalen Spitzenverbänden in NRW (Städtetag NRW, Städte- und Gemeindeverbund NRW) zusammen mit Praktikerinnen und Praktikern aus Kreisen, Städten und Gemeinden, der Kommunal Agentur NRW und dem Institut der Rechnungsprüfer (IDR). Die Mustersatzung soll den Gemeinden eine Orientierung und Hilfestellung bei der zukünftigen Ausgestaltung der kommunalen Unterschwellenvergabepraxis bieten. Insoweit sind die Inhalte rechtlich unverbindlich und können von den Gemeinden übernommen, geändert oder ergänzt werden.
Inhaltlich orientiert sich die Mustersatzung an den derzeit noch bestehenden rechtlichen Grundlagen der kommunalen Vergabepraxis (UVgV, VOB/A). Hierauf weisen die Verfasser der Musterpraxis selbst in ergänzenden Erläuterungen zur Mustersatzung ausdrücklich hin und empfehlen zudem bei offenen Fragen weiterhin eine Orientierung an den (wenn auch nicht mehr verbindlichen) Vorgaben der UVgV und VOB/A. Zugleich ist die Mustersatzung keine 1:1-Übernahme der bisherigen Regelungen, sondern bleibt an vielen Stellen allgemeiner und offener. Aufgrund der Heterogenität kommunaler Größen- und Strukturmerkmale wird stellenweise darauf verzichtet konkrete Vorgaben zu machen (bspw. werden keine Wertgrenzen für Direktvergaben vorgegeben). Anstelle dessen soll vielmehr bewusst ein Gestaltungsspiel für einzelne Gemeinden belassen werden, die dann den Besonderheiten vor Ort Rechnung tragen können.
Handlungsspielräume und Pflichten der Gemeinden
Für die einzelnen Gemeinden in NRW bedeutet die Neueinführung des § 75a GO NRW eine Systemumstellung mit Chancen und Risiken. Mit dem Jahreswechsel verlieren die bisherigen Detailregelungen der UVgV und der VOB/A für den Unterschwellenvergabebereiche ihre Gültigkeit und werden durch die allgemeinen Grundsätze des § 75a GO NRW ersetzt. Einerseits steht es den Gemeinden dann weitgehend frei, die kommunale Vergabepraxis anhand der Grundsätze des § 75a GO NRW zu konkretisieren. Dabei können sie
- eigenständig Wertgrenzen für Direktvergaben setzen,
- festlegen welche Vergabearten zur Anwendung gelangen sollen
- oder auch gezielt Nachhaltigkeits- und Klimaaspekte in die kommunale Vergabepraxis integrieren.
Andererseits stehen die Gemeinden nun in der Verantwortung, eine rechtliche Grundlage für künftige Vergaben im Unterschwellenbereich zu schaffen. Ohne eine kommunale Satzung bleibt es bei den abstrakten Grundprinzipien des § 75a GO NRW, deren praktische Ausfüllung ohne eine satzungsmäßige Konkretisierung erhebliche Rechtsunsicherheiten für die betroffene Gemeinde und potenzielle Bieter gleichermaßen bedeuten würde.
Die (zumindest vorläufige) Übernahme der Regelungen der Mustersatzung würde für die Gemeinden in NRW zunächst ein gewisses Minimum an Rechtssicherheit schaffen. Zugleich würde auf etablierte Begrifflichkeiten und eine bereits bekannte Regelungssystematik zurückgegriffen. Bereits in der Mustersatzung angelegte Gestaltungsspielräume könnten an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Auch darüber hinausgehende Änderungen können angesichts der Unverbindlichkeit der Mustersatzung ohne Weiteres beschlossen werden.
Fazit zur Neueinführung des § 75a GO NRW
Die mit § 75a GO NRW intendierte Freigabe der Unterschwellenvergabe soll nach dem Willen des Gesetzgebers den einzelnen Gemeinden mehr Handlungsfreiheit einräumen und einen erheblichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten (LT-Drs. 18/13836, S. 144). Es liegt nun bei den einzelnen Gemeinden, die neugewonnenen Handlungsspielräume zu nutzen und die kommunalen Beschaffungsprozesse im Unterschwellenbereich eigenständig und nach den jeweiligen Zielen vor Ort zu gestalten. In Anbetracht der Tatsache, dass § 75a GO NRW bereits zum Jahreswechsel in Kraft treten wird, lohnt sich eine frühzeitige Auseinandersetzung und strategische Vorbereitung in Bezug auf die künftige Aufstellung der kommunalen Vergabepraxis im Unterschwellenbereich.
Wir beraten Sie dabei gerne.