Bei Einschaltung Dritter in die Erbringung einer (elektronischen) Dienstleistung via Appstore kann nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – auch für Zeiträume vor 2015 – eine sog. Leistungskette fingiert werden. In diesen Fällen erbringt im Rahmen der fingierten Verkaufskommission der Kommittent (z. B. der App-Entwickler) die Dienstleistung an den Kommissionär (Appstore), und der Appstore wiederum eine Dienstleistung an den Endnutzer. Im Rahmen dieses Urteils bestätigt der EuGH zudem, dass eine Steuerschuld nach § 14c UStG nur dann entsteht, wenn der unzutreffende Steuerausweis zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führt. Dies ist bei Privatkunden nicht der Fall, sodass keine entsprechende Steuerschuld für den Rechnungsaussteller entsteht.

Sachverhalt

Die XYRALITY ist ein in Deutschland ansässiges Unternehmen und Entwicklerin von Apps. Die Apps wurden in den Streitjahren 2012–2014 über einen Appstore vertrieben, den ein in Irland ansässiges Unternehmen betrieb. Der Endkunde konnte die Apps über den Appstore kostenlos herunterladen; kostenpflichtig waren lediglich die In-App-Käufe.

Die Abwicklung der In-App-Käufe erfolgte über den Appstore und mittels einer der dort vom Endkunden hinterlegten Zahlungsmethoden. Der Endkunde erhielt erst nach dem Kaufvorgang vom Appstore eine Bestellbestätigung per E-Mail, in der unter anderem die XYRALITY als Leistende benannt sowie der Bruttopreis und die darin enthaltene (deutsche) Umsatzsteuer ausgewiesen waren.

Nach Auffassung des FG Hamburg habe der Appstore bei den In-App-Käufen im eigenen Namen gehandelt, da insbesondere die Einbettung der Produkte in die Appstore-Oberfläche beim durchschnittlichen Endkunden die Erwartung geweckt habe, dass der Appstore Vertragspartner und Verkäufer der Apps sei – zumal sich der Endkunde zunächst beim Appstore anmelden und dessen Nutzungsbedingungen akzeptieren musste.

Zudem sei der Appstore während des Kaufvorgangs nicht hinreichend deutlich im Namen der XYRALITY aufgetreten. Dies führte zu dem Ergebnis, dass die XYRALITY an den Appstore und der Appstore an die Appnutzer Leistungen im Rahmen einer Dienstleistungskommission erbrachten.

Der BFH äußerte jedoch in seinem Beschluss vom 23. August 2023 (XI R 10/20) Zweifel an der Anwendung und Reichweite der Dienstleistungskommission im konkreten Fall. Zudem war fraglich, ob der möglicherweise fehlerhafte Ausweis deutscher Umsatzsteuer in den Bestellbestätigungen eine Steuerschuld nach § 14c UStG auslöst.

Der EuGH hat die drei Vorlagefragen im Wesentlichen wie folgt beantwortet:

Urteil des EuGH und Antworten zu den Vorlagefragen

Zur 1. Vorlagefrage (Anwendbarkeit des Art. 28 MwStSystRL, § 3 Abs. 11 UStG)
Für die Anwendbarkeit der Dienstleistungskommission ist maßgeblich, dass es einen Auftrag zwischen dem Entwickler und dem Appstore gibt und der Appstore die Leistung im eigenen Namen und auf Rechnung des Entwicklers gegenüber den Appnutzern erbringt.

Sofern sich dies aus den zugrunde liegenden Gegebenheiten ergibt, spricht nach Einschätzung des EuGH der Umstand, dass der Endkunde erst nach Abschluss des Kaufvorgangs über die Identität der XYRALITY als Entwickler und Leistender informiert wurde, nicht gegen die Anwendbarkeit einer Dienstleistungskommission.

Zwar ist Art. 9a MwStVO (§ 3 Abs. 11a UStG) in zeitlicher Hinsicht erst ab dem 1.1.2015 anwendbar. Dennoch betont der EuGH, dass dies nicht dazu führen darf, dass Art. 28 MwStSystRL anders ausgelegt wird als bei Heranziehung des Art. 9a MwStVO. Schließlich verdeutlicht und klärt Art. 9a MwStVO ein Konzept, das sich bereits in der MwStSystRL findet und seit deren Einführung anwendbar ist; die Norm führt weder zur Ergänzung noch zur Änderung des Art. 28 MwStSystRL.

Zur 2. Vorlagefrage (Reichweite des Art. 28 MwStSystRL, § 3 Abs. 11 UStG)
Der EuGH stellt klar, dass die Fiktion der Leistungskette keinen Einfluss auf die Bestimmung des Leistungsorts hat. Jede Leistungsbeziehung in der Kette ist daher nach den allgemeinen Ortsregelungen zu beurteilen.
Bezogen auf die Leistung des Entwicklers an den Appstore bestimmt sich der Leistungsort folglich nach der B2B-Grundregel des Art. 44 MwStSystRL (§ 3a Abs. 2 UStG).

Zur 3. Vorlagefrage (Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL, § 14c UStG)
Der EuGH bestätigt seine gefestigte Rechtsprechung, wonach eine Steuerschuld bei unzutreffendem Steuerausweis nur entsteht, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens besteht.

Zwar habe sich die XYRALITY gewissermaßen widersprüchlich verhalten, was eine Steuerschuld rechtfertigen könnte. Letztlich ist die Steuerschuld aber funktional mit dem Recht auf Vorsteuerabzug verknüpft – sie soll das fiskalische Risiko aufgrund eines zu hoch bemessenen Vorsteuerbetrags verhindern. Im konkreten Fall liegt dieses Risiko nicht vor, weil die fraglichen Leistungen an Privatkunden (Nichtsteuerpflichtige) erbracht wurden. Eine nähere Prüfung, ob die Bestellbestätigungen überhaupt Rechnungen im Sinne der Vorschrift darstellen, war daher entbehrlich.

Praxishinweise

Der EuGH hält die Anwendbarkeit der Dienstleistungskommission – trotz der späteren Hinweise in den Bestellbestätigungen auf die XYRALITY als Leistende – für möglich. Entscheidend wird nun sein, wie der BFH diese Feststellungen auf den konkreten Fall umsetzt. Die tatsächlichen Feststellungen des FG Hamburg dürften insofern nur wenig Spielraum für eine abweichende Auslegung bieten.

Die Ausführungen des EuGH zu Art. 9a MwStVO könnten gerade für Zeiträume vor dem 1.1.2015 besondere Bedeutung erlangen. So scheint es, dass Art. 9a MwStVO inzident für offene Altjahre zu beachten ist.
Vor allem in Fällen des § 3 Abs. 11 UStG ist beim Bestell- bzw. Verkaufsvorgang daher in der Praxis darauf zu achten, dass bereits vor Leistungsausführung eindeutig erkennbar ist, von wem der Endkunde die Leistung tatsächlich bezieht.

Etwaige Zweifel zur Bestimmung des Leistungsorts bei der Fiktion einer Dienstleistungskommission dürften nunmehr geklärt sein. Es ist grundsätzlich auf das jeweilige Verhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger abzustellen; eine Fiktion des Leistungsorts erfolgt nicht.

Die praxisrelevante Steuerschuld nach § 14c UStG sollte weiterhin sorgfältig geprüft werden. Wichtig: Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis an Privatkunden begründen keine Steuerschuld des Rechnungsausstellers.

Achtung: Erst kürzlich hatte der EuGH (Urteil vom 1.8.2025; C-794/23) eine restriktivere Ansicht vertreten und klargestellt, dass selbst Rechnungen an Unternehmer, die Leistungen für den privaten Bedarf beziehen, eine Steuerschuld auslösen können.

Diese Entscheidung zeigt, dass eine Einzelfallprüfung und enge Abstimmung mit der Finanzverwaltung erforderlich bleiben, sobald Umsatzsteuer unzutreffend ausgewiesen wurde.