Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Privatkliniken umsatzsteuerbefreit sein können, beschäftigt seit Jahren immer wieder die Gerichte. Diesbezüglich war und ist insbesondere die Zeit bis 2019 umstritten. Zudem ist aber auch die Auslegung der Rechtslage seit der gesetzlichen Neuregelung im deutschen Recht zum 1. Januar 2020 auf Basis des Europarechts immer wieder in Diskussion.
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Umsatzsteuerliche Behandlung von Privatkliniken vor 2020

Die deutsche Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sah in ihrer Fassung bis 2019 eine Umsatzsteuerbefreiung nur für zugelassene Krankenhäusern nach § 108 Sozialgesetzbuch (SGB) V vor. Umstritten war jedoch, ob sich Krankenhäuser, die keine Zulassung nach § 108 SGB V haben („Privatkliniken“) auf die europarechtliche Umsatzsteuerbefreiung berufen können. Spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von 2022 ist klar: Die deutsche Regelung des § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG entspricht nicht den unionsrechtlichen Vorgaben. Damit können sich deutsche Privatkliniken unmittelbar auf die europarechtliche Umsatzsteuerbefreiung für Privatkliniken berufen. Demnach müssen für eine Steuerbefreiung die Heilbehandlungsleistungen einer Privatklinik in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen wie bei öffentlich-rechtlichen oder nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern erbracht werden. Konkret müssen

  • die Bedingungen der Leistungserbringung mit denen von Einrichtungen öffentlichen Rechts nicht gleich, aber doch vergleichbar sein,
  • die Einrichtung auch Verpflichtungen mit sozialer Zielsetzung unterliegen, die mit denen vergleichbar sind, die für Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten,
  • die Kosten der Heilbehandlungen gesenkt und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher gemacht werden,
  • die Kosten der von privaten Krankenhäusern erbrachten Leistungen, die zulasten der Patienten gehen, ähnlich hoch sein wie die Kosten, die von den Patienten öffentlicher Einrichtungen getragen werden.

Wann genau diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist aber in der Praxis häufig umstritten. 

Umsatzsteuerbefreiung für Privatkliniken –aktuelle Rechtsprechung

Zum 1. Januar 2020 wurde die Vorschrift an die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) angepasst und auf Krankenhäuser erweitert, die ihre Leistungen in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen wie öffentlich-rechtliche oder nach § 108 SGB V zugelassene Einrichtungen erbringen. Zudem definiert das Gesetz ausdrücklich, dass in sozialer Hinsicht vergleichbare Bedingungen vorliegen, wenn das Leistungsangebot des Krankenhauses dem von Krankenhäusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft oder nach § 108 des SGB V zugelassenen Krankenhäusern erbrachten Leistungen entspricht und die Kosten voraussichtlich in mindestens 40 Prozent der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als für allgemeine Krankenhausleistungen nach dem KHEntgG oder der BPflV berechnet wurde oder voraussichtlich mindestens 40 Prozent der Leistungen den in § 4 Nr.15 b UStG genannten Personen zugutekommen. Weiter stellt das deutsche Gesetz ausdrücklich klar, dass dabei auf die Verhältnisse im vorangegangenen Kalenderjahr abzustellen ist. Ziel dieser Gesetzesänderung war die unionsrechtskonforme Anpassung der deutschen Umsatzsteuerbefreiung, da die bis 2009 geltende Regelung nicht mit Artikel 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL vereinbar war. Auch die seit 2020 geltenden Vorschriften sind im Lichte der EuGH-Rechtsprechung auszulegen. Angesichts der klaren Vermutungsregelung, wann eine soziale Vergleichbarkeit gegeben ist, besteht ab dem Jahr 2020 aber deutlich mehr Rechtssicherheit in Bezug auf die Umsatzsteuerbefreiung von Privatkliniken. 

Urteil des Finanzgerichts (FG) Niedersachsen: Steuerfreiheit auch ohne nationale Anerkennung

Eine aktuelle Entscheidung des FG Niedersachsen hat diese Thematik erneut aufgegriffen. Die Klägerin im zugrundeliegenden Verfahren berief sich für die Jahre 2009 bis 2012 auf eine Steuerbefreiung ihrer Krankenhausleistungen auf Basis der MwStSystRL.

Das FGhat dies verneint. Es verweist insoweit darauf, als der Zweck der Gesamtheit der Bestimmungen des Artikels 132 Abs. 1 MwStSystRL darin bestehe, bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu befreien, um den Zugang zu bestimmten Leistungen zu erleichtern, indem höhere Kosten vermieden werden. Zur Auslegung der Norm stützt sich das FG auf die EuGH-Entscheidung von 2022. Für eine Steuerbefreiung müssen demnach die Bedingungen der Leistungserbringung sowie die soziale Zielsetzung einer Einrichtung mit denen öffentlicher Träger nicht gleich, aber doch vergleichbar sein. Zudem sollen die Behandlungskosten gesenkt und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher gemacht werden. Schließlich dürfen die Kosten, die zulasten der Patienten gehen, ähnlich hoch sein wie die Kosten, die von den Patienten öffentlicher Einrichtungen getragen werden.

Im vorliegenden Fall sah das FG diese Voraussetzungen jedoch als nicht erfüllt an und führte mehrere Aspekte dafür an. Insbesondere seien höhere Entgelte verlangt worden, als nach den Regelungen des Krankenhausentgeltgesetzes und des Krankenhausfinanzierungsgesetzes entsprechend den sogenannten DRG-Fallpauschalen abrechenbar wären. Weiter stellte das Finanzgericht auch darauf ab, dass sog. tagesgleichen von der Verweildauer der Patienten im Krankenhaus abhängige Pflegesätze verlangt wurden und nicht nach den DRG-Fallpauschalen abgerechnet wurde. Begründet wurde dies mit dem höheren Kostenrisiko für Patienten sowie den tatsächlich regelmäßig höheren Vergütungen.

Die Abrechnung der erhöhten Kosten könne zudem auch nicht mit fehlenden Investitionskostenzuschüssen der öffentlichen Hand in den Streitjahren gerechtfertigt werden. Denn diese galten laut FG nur für die sogenannten Plankrankenhäuser. Auch andere Vertragskrankenhäuser in privater Trägerschaft erhielten keine Zuschüsse und rechneten über DRG-Fallpauschalen ab. Eine Berücksichtigung dieser fehlenden Förderung bei der Entgeltvergleichung lehnte das Gericht ebenso ab wie den Vorwurf eines Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 GG oder gegen den unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz.

Was bedeutet das Urteil für Privatkliniken in der Praxis?

Das FG hat die Revision zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, ob und mit welchem Ausgang sich der Bundesfinanzhof mit dieser Frage befassen wird.

Auf Basis der Entscheidung des FG Niedersachsen, könnte seitens der Finanzverwaltung auch eine Umsatzsteuerbefreiung bei anderen Privatkliniken jedenfalls für die Zeit vor 2020 infrage gestellt werden, soweit diese nicht nach DRG-Fallpauschalen abgerechnet haben. Insoweit bleiben aktuell Unwägbarkeiten für die Praxis.

Offen ist weiter, inwieweit sich die bisherige Rechtsprechung auf die neue deutsche Rechtslage seit 2020 auswirkt. Denn vom Grundsatz her sind auch nach 2020 die unionsrechtlichen Grundsätze weiter bei der Auslegung zu berücksichtigen. Maßgeblich sind dann aber die konkretisierten Vorgaben des § 4 Nr. 14 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) UStG. Wird diese Vorschrift erfüllt, ist die Steuerbefreiung unproblematisch. In anderen Fällen kann sich jedoch die Frage stellen, ob das nationale Recht unionsrechtskonform ist oder ob ein Rückgriff auf die MwStSystRL möglich bleibt, sofern der deutsche Gesetzeswortlaut diese zu Unrecht einschränkt.

Handlungsempfehlungen für Klinikbetreiber

Betreiber von Privatkliniken sollten daher auf Basis der aktuellen Rechtsprechung prüfen, inwieweit Steuerfestsetzungen für die Jahre vor 2020 noch änderbar sind. Soweit dies der Fall ist, ist weiter zu prüfen ob und ggf. in welchem Umfang sich dies auf eventuell in Anspruch genommene Umsatzsteuerbefreiungen auswirkt.

Für die Jahre ab 2020 besteht auf Basis der dargestellten Entscheidung aktuell zunächst kein Handlungsbedarf, soweit die Voraussetzungen der deutschen Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 b) UStG erfüllt werden. Der weitere Verfahrensverlauf und eine eventuelle Entscheidung des BFH sollten aber im Blick behalten werden.

Sprechen Sie uns an – wir unterstützen Sie gerne bei der steuerlichen Prüfung Ihrer Klinikstruktur und der Optimierung Ihrer Umsatzsteuerposition.