Der Mehrwertsteuerausschuss der EU-Kommission hat jüngst zum EuGH-Urteil Vega International Stellung genommen und sich ablehnend zum Reihengeschäft im Tankkartengeschäft geäußert. Was diese Sichtweise für die Praxis bedeuten würde.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Jahr 2019 in der Rechtssache Vega International (C-235/19) ein Urteil zur umsatzsteuerlichen Einordnung der Leistungsbeziehungen im Tankkartengeschäft gesprochen. Das Gericht hat entschieden, dass in dem zur Vorabentscheidung vorgelegten Fall kein Reihengeschäft mit Kraftstoff, sondern eine Finanzierungsleistung gegeben war. Dieses Ergebnis folgte aus besonderen Umständen des Einzelfalls. Dennoch ist seither offengeblieben, ob das Urteil möglicherweise doch weitergehende Implikationen für das Geschäftsmodel von Tankkartenunternehmen mit sich bringt.

Die EU-Mitgliedstaaten fanden zu dieser Frage seither keine einheitliche Auffassung. Deshalb hat sich zu Jahresbeginn die VAT Expert Group der Thematik angenommen und sich in einer Stellungnahme vom 28. März 2022 grundsätzlich für die Anwendbarkeit eines Reihengeschäftes im Reseller-Model (Wiederverkauf) ausgesprochen. Die von der VAT Expert Group formulierten Voraussetzungen eines Eigenhandels durch die Lieferkette stehen weitgehend im Einklang mit denen des BMF-Schreibens vom 15. Juni 2004 (betreffend das EuGH-Urteil Auto Lease Holland; C-185/01). Diese Betrachtung berücksichtigt unter anderem die zivilrechtlichen Vereinbarungen, nach denen der Kunde durch eine berechtigte Legitimierung mittels Verwendung der Tankkarte den Kraftstoff vom Tankkartenunternehmen erwirbt und von einer angeschlossenen Tankstelle abholt. Ein wesentlicher Vorteil des Erwerbs des Kraftstoffs vom Tankkartenunternehmen ist die Abrechnung aller Betankungen verschiedener Fahrzeuge des Kunden (vielfach Speditionen) innerhalb eines Zeitraums in einer einzigen Rechnung.

Überraschend hat sich nun der Mehrwertsteuerausschuss der Europäischen Kommission am 21. Oktober 2022 (Working Paper No. 1046) entgegen den Empfehlungen der VAT Expert Group ablehnend zum Reihengeschäft im Tankkartengeschäft geäußert. In seiner Analyse geht der Mehrwertsteuerausschuss davon aus, dass beim Reseller-Model bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Übertragung von Verfügungsmacht am Kraftstoff an das Tankkartenunternehmen erfolgt, sondern die Kunden den Kraftstoff unmittelbar vom Tankstellenbetreiber beziehungsweise der Mineralölgesellschaft beziehen. Dies sei der Fall, weil das Tankkartenunternehmen keine Kontrolle über die Art, die Qualität, den Ort des Bezugs oder die Verwendung des Kraftstoffs durch den Kunden habe. Der Mehrwertsteuerausschuss schlägt stattdessen vor, dass ein ähnliches Ergebnis wie bei einem Reihengeschäft eher durch eine Kommissionsvereinbarung, bei der eine Lieferkette fingiert wird, herbeigeführt werden könne.

Die recht knappe Argumentation des Mehrwertsteuerausschusses verbleibt allerdings in entscheidenden Punkten an der Oberfläche. Es wird nicht ausgeführt, ob ein Zwischenhändler in einem Fall der zivilrechtlichen Stellvertretung durch seinen Kunden, der die Ware in einem Zuliefernetzwerk des Zwischenhändlers abholt, nicht in genügender Weise in Erscheinung treten könnte, um die Verschaffung der Verfügungsmacht in einer Lieferkette bewirkt zu haben. Es ist durch Rechtsprechung entschieden, dass die Beteiligten an einem Leistungsaustausch aus den zivilrechtlichen Vereinbarungen folgen und von diesen nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Weshalb ein solcher Ausnahmefall, bei der die wirtschaftliche Realität der zivilrechtlichen Vereinbarung nicht entspricht, vorliegen solle, wenn die Parteien die Liefervereinbarungen aus den oben genannten Gründen wählen, ist ebenfalls nicht vom Mehrwertsteuerausschuss begründet worden.

Das Tankkartenunternehmen erhält, wie jeder mittlere Unternehmer im Reihengeschäft, zwar keine physische Lieferung des Kraftstoffs, doch dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch nicht erforderlich. Das Argument einer fehlenden Kontrolle über Art, Qualität und Verwendung des Kraftstoffs durch den Kunden könnte sich daher als nicht sehr tragfähig erweisen. Würde das BMF der Ansicht des Mehrwertsteuerausschusses folgen, würde dies jedenfalls fundamentale Fragen zur Anwendbarkeit des Reihengeschäfts als solches nach sich ziehen. Der mittlere Unternehmer in einem Reihengeschäft (insbesondere im Abholfall) erhält nämlich ebenfalls nie eine tatsächliche Verfügungsmacht über die gelieferten Gegenstände. Es wäre aber praxisfern, derartige Lieferbeziehungen allein aufgrund dieses Umstandes in eine andere Leistung umzudeuten.

Da es sich um einen ausschließlich beratenden Ausschuss handelt, dem keine Rechtsbefugnisse übertragen wurden, kann der Mehrwertsteuerausschuss keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen. Er kann jedoch Hinweise zur Anwendung der Richtlinie geben, die den Finanzverwaltungen und Gerichten als Auslegungshilfe dienen können, jedoch weder für die Kommission noch für die EU-Länder verbindlich sind.

Praxishinweis

Es bleibt festzustellen, dass die Rechtsauffassung des Mehrwertsteuerausschusses nicht in vollem Umfang überzeugt. Eine Änderung der bisher in Deutschland von der Finanzverwaltung vertretenen Rechtsauffassung zum Tankkartengeschäft hätte gravierende praktische Folgen für die Transport- und Logistikbranche. Die Ausgestaltung einer enormen Zahl von Rechtsverhältnissen müsste überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Bis dies umgesetzt ist droht aufgrund beträchtlicher Umsatzsteuerrisiken für die beteiligten Unternehmen einige Disruption bei der Belieferung mit Kraftstoffen und mithin gesamter Lieferketten. Aktuell genießen Unternehmer aufgrund des gültigen BMF-Schreibens aus dem Jahr 2004 in jedem Fall noch Vertrauensschutz. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich das BMF zur Stellungnahme des Mehrwertsteuerausschusses positioniert.